Neuland

Der junge Quereinsteiger Marcus Gruze betreibt in der bisher kaum beachteten Weinregion Kärnten biodynamischen Weinbau und erregt damit ziemliches Aufsehen …

Text von Christina Fieber Foto: Tinefoto.com/Martin Steinthaler

Von hier oben sieht man über den ganzen See. Vielleicht ist es einer der schönsten Plätze, an dem Wein angebaut wird – ganz sicher ist es einer der ungewöhnlichsten: St Georgen am Längsee. Der kleine Ort spielte in der Weinwelt bisher nicht unbedingt eine tragende Rolle. Kein Wunder, liegt er doch in Kärnten.

Das südliche Bundesland ist bekannt für saubere Seen, für imposante Berge und unbeschwerte Urlaube, vielleicht noch für gesangsfreudige Einwohner und extrovertierte Politiker. Sicher nicht für große Weine. Man trinkt hier Bier aus den eigenen Brauereien oder Prosecco vom benachbarten Italien.

„Aber wer braucht schon Wein aus Kärnten?“ – mit dieser Frage sieht sich auch Marcus Gruze immer wieder konfrontiert. Der junge Kärntner baut seit einigen Jahren Wein in seiner Heimat an.

Er wirkt, als komme er aus einer anderen Zeit. Mit seiner karierten Schirmmütze, dem weißen Leinenhemd und den knielangen Hosen sieht er aus wie ein Sänger der „Comedian Harmonists“ aus den 30er Jahren oder ein Bergbauernbub aus einem Roman von Franz Innerhofer.

Marcus Gruze ist Winzer. Genau gesagt: biodynamischer Winzer, der sich auf Burgunder spezialisiert hat.

„Ich brauche klare Strukturen, will mein Leben auf das Wesentliche reduzieren“, philosophiert Gruze, „daher arbeite ich nur mit einer Rebfamilie.“

Zufällig hat er sich auf die schwierigste Rebfamilie reduziert. Burgunder sind unter Weinmachern als besonders kapriziös und fehleranfällig gefürchtet. Vor allem Pinot noir gilt als die Königsdisziplin, der nur schwer gute Weine zu entlocken sind.

2008 hat er die ersten Rebstöcke auf den Hügeln über dem Längsee ausgepflanzt und bewirtschaftet sie seitdem nach biodynamischen Richtlinien. Ziemlich extravagant. Ausgerechnet in Kärnten, scheinbar einem Niemandsland in Sachen Wein.

Dabei hat Weinbau in Kärnten eine lange Tradition: Vor etwa tausend Jahren war Wein hier weit verbreitet und galt als Volksgetränk. Meist wurde er von den Klöstern und Stiften betrieben. Erst als Ende des 19. Jahrhunderts die Peronospora, eine heimtückische Pilzkrankheit aus Amerika, eingeschleppt wurde, kam der Weinbau langsam zum Erliegen. Statt Wein trank man nun Bier, und die aufwendig zu bewirtschaftenden Rebanlagen wichen Getreide und Obst. In den 70er Jahren wurden erstmals wieder Rebstöcke gepflanzt, aber bis vor einigen Jahren waren das im ganzen Land nicht mehr als 45 Hektar.

Marcus Gruze aber hat es sich in den Kopf gesetzt, die Weinwirtschaft in seiner Heimat wieder anzukurbeln. Dazu gehört schon eine große Portion Eigenwilligkeit, an der es dem Jungwinzer offenbar nicht mangelt. Seine Geschichte hat ihn eine besondere Durchsetzungskraft entwickeln lassen.

Mit nur 15 Jahren verliert er mit einem Schlag beide Eltern bei einem Autounfall und ist von da an auf sich alleine gestellt. Er absolviert eine Koch- und Kellnerlehre, um später das Wirtshaus der Familie zu übernehmen. So war es geplant.

Nebenbei beginnt er eine Karriere als Profi-Radrennfahrer. Der Sport habe ihn damals gerettet, meint Marcus Gruze, habe ihn abgelenkt und gelehrt, sich durchzusetzen und auf das Wesentliche zu konzentrieren. Eigenschaften, die er später noch oft brauchen wird.

Als Koch zieht er durch die Welt bis nach Neuseeland, wo er schließlich beim Weingut des Schweizers Hans Herzog landet.

Seine schönste Zeit: Am Morgen im Weingarten, nachmittags Rennradfahren und abends kocht er im Restaurant des Weinguts.

Drei Winter lang zieht es ihn ans andere Ende der Welt, bis er es selbst wissen will mit dem Weinmachen. Er absolviert die Weinbauschule und arbeitet zunächst beim Weingut Ploder in der Südoststeiermark, wo er hilft, den Betrieb auf Biodynamie umzustellen. Gleichzeitig sucht er in Kärnten nach geeigneten Lagen, kauft verschiedene Burgunderklone und nach und nach auch noch die gesamte Ausrüstung für den eigenen Weinkeller.

Eine ziemlich große Investition für den jungen Quereinsteiger. Warum tut er sich das an, in einer Region, aus der kein Mensch Wein erwartet?

„Nach all den Wanderjahren habe ich gemerkt, dass ich zurück zu meinen Wurzeln muss“, sinniert er, „und die Bedingungen für Weinbau sind hier perfekt.“ Drei Hektar hat er inzwischen gepachtet, meist steile Lagen mit stark schieferhältigen Böden.

Am Anfang probiert er sich noch im elterlichen Wirtshaus als Koch und Patron, baut das Wirtshaus nach eigenen Plänen zu einem geschmackvollen kleinen Restaurant um. Schnell merkt er jedoch, dass Gastronomie nicht mehr seine Welt ist. Er hat sich entfremdet und tut sich schwer mit dem schnellen Gewerbe. Zu eigenwillig, zu frei denkend ist er inzwischen geworden.

Immer mehr zieht es ihn nach draußen, in die Natur, wo er sich aufgehoben fühlt. Gruze beschäftigt sich mit den Schriften des Anthroposophen Rudolf Steiner und seiner biodynamischen Lehre. Hier findet er Antworten auf die Fragen, die sich ihm im Leben stellen. Und deren hat er viele, denn er ist ein nachdenklicher und tiefgründiger Mensch. Er nimmt es ernst mit dem biodynamischen Weinabau, beschäftigt sich eingehend mit natürlichem Pflanzenschutz und Heilkräutern. Kocht Tees und braut Präparate, um die Rebstöcke zu stärken. Sogar den eigenen Kompost hat er mit beinahe wissenschaftlicher Akribie angelegt. 2.000 Stunden habe er letztes Jahr im Weingarten verbracht.

„In der Natur habe ich meinen Glauben an das Leben wiedergefunden, hier kann ich meine Sehnsucht nach Harmonie stillen“, glaubt er.

Das mag aus dem Mund anderer schwülstig klingen, doch dem ernsthaften jungen Mann glaubt man es sofort. Nichts an ihm wirkt flapsig oder kokett. Was er sagt, ist durchdacht. Das kommt wohl von diesem Bedürfnis nach klaren Strukturen. Seine Andersartigkeit würde manche irritieren, ist er überzeugt.

Auch das Verhältnis zu Kärnten ist nicht ganz friktionsfrei: Die Engstirnigkeit und Oberflächlichkeit der Menschen hier mache ihm zu schaffen und ihre Angst vor allem Fremden sei ihm fern. Trotzdem kämpft er gerade hier um Anerkennung.

Zumindest in der Fachwelt hat er für Aufsehen gesorgt. Seine Weine sind so tiefgründig wie er selbst. Sensible Wesen von einem anderen Stern. Auch äußerlich sieht man ihnen ihre Andersartigkeit an. Schwere, dicke Flaschen mit einer so klaren wie schönen Etikette.

Der Name Georgium leitet sich nicht nur von St. Georgen ab, sondern von der „Georgica“, einer Dichtung Vergils über den Landbau. Ein Kapitel handelt vom Wein.

Bei der Verkostung wird schnell klar, dass Gruzes Nachdenklichkeit auch nicht vor dem Weinkeller halt macht. Jedes Fass hat eine andere Charakteristik, erzählt eine ganz eigene Geschichte. Er hat eine liebevolle Beziehung zu seinen Weinen.

Die weißen Burgunder sind erdig und dicht, dann wieder fragil und voller Rasanz. Nie sind sie langweilig – immer voller Leidenschaft.

Einige sind Monate auf der Maische vergoren und kommen unter dem Namen „Quemado“ auf den Markt: dunkelfärbige, wilde Weine mit starkem Ausdruck. Sie graben sich nachhaltig im Gaumen ein. Benannt sind sie nach seinem verstorbenen Hund, der einen sehr eigenwilligen Charakter besaß. Warum sollte gerade der Hund anders als sein Besitzer sein.

Die Pinot noirs zeigen die verletzliche Seite von Marcus Gruze. Aus dem Fass wirken sie oft noch grob und ungelenk. Nach einiger Zeit in der Flasche jedoch sind sie fragil und sanft, beinahe zärtlich. Man möchte nicht aufhören, sie zu trinken. Richtige Burgunder eben, mit großer Klasse. Aus Kärnten, wohl gemerkt.