Please don´t order
Veilchen, Japan, Ironie und Salz: Bar Consulter wie Joe McCanta kennen die Zukunft der Cocktails. Gleich vorweg: Barkultur bedeutet nicht nur Caipirinha.
Please don´t order
Text von Anna Burghardt Foto: Phillip Horak
Auch in der Bar-Zeitrechung kennt man BC und AC. Allerdings ohne Christus als Parameter. "Before Cranberry juice und After Carton”, erklärt Joe McCanta die zeitlichen Grenzpfosten der Cocktailwelt. Ja, es soll tatsächlich eine Zeit gegeben haben, als man ohne den roten bitteren Saft zurechtkam. Und was die Post-Tetrapak-Ära bringen wird, wissen Leute wie McCanta. Der 28-Jährige ist einer der führenden Mixologists, Barkeeper, die einen fundierten Überblick über die internationalen Entwicklungen haben. Einer von denen, die vormachen, was Jahre später als Cocktail über Après-Ski-Theken wandert. Einer von denen, die Blue Curaçao, Red Bull und fertige Sirups hassen. Während die häufigsten Bestellungen noch immer "Caipi", "Cosmo" und "Mojito" lauten, sind er und seine Mitstreiter schon längst weiter. Was jetzt nicht heißt, dass es bei Joe McCanta im Londoner "Saf", das von der New York Times als Epizentrum für organische Cocktails bezeichnet wurde, keinen Mojito gibt. Man nannte ihn jedoch intern zuletzt nur mehr "bane of existence", quasi Fluch und Verderben. "Jeder Londoner bestellt Mojitos und jeder Barkeeper hasst sie", sagt McCanta. Weshalb er sich selbst vor die Wahl gestellt hat, diesen Drink entweder PDO zu taufen, Please Don’t Order, in Anlehnung an den Bar-Geheimtipp PDT in New York (Please Don’t Tell), oder ihn neu zu erfinden. In der Befürchtung, der Name wäre letztlich doch zu wenig abschreckend, entschied er sich für Zweiteres und bietet nun einen Mojito rosa an, den er mit seinem Gewissen vereinbaren kann: Zu verschiedenen Minzarten wie Ananas- oder Orangenminze, die alle im bareigenen Biogarten gezüchtet werden, kommen unter anderem ein hausgemachter Sour Cherry Infused Rum und ein ebenfalls hausgemachter Agaven-Minz-Sirup. Und wer nicht hören will, muss eben fühlen: Einem besonders lästigen, auf den x-ten Mojito bestehenden und nicht zu bekehrenden Gast servierte der sonst sehr wohlerzogene Joe McCanta vor Jahren kurzerhand eine spezielle Kreation namens "Mat Roll". "Das Rezept ist gar nicht so schwer zu befolgen", grinst er. "Man nimmt die Unterlagsmatte, auf der man den ganzen Abend gearbeitet hat, rollt sie zusammen und schüttet sämtliche flüssig-klebrigen Reste darauf in ein Glas. Irgendwie wird schon ein Mojito auch dabei gewesen sein." Das Credo vieler Barkeeper, "we serve people, not drinks", missachtete Joe McCanta mit dieser Show-Einlage jedenfalls ordentlich. Es sei ihm zu gönnen, sich einmal nicht um die Barkultur verdient zu machen.
Wie es mit dieser gemeinhin im Argen liegen muss, ist an seiner Überraschung zu erkennen, bei seinem Wienbesuch kürzlich mit Marco Pani von der Bar Italia einen Gleichgesinnten zu treffen. Der gebürtige Italiener saß unlängst als einziger Österreicher in der Jury des Bar Convent Berlin und hat ähnliche Prinzipien wie Joe McCanta. Biologische Zutaten gehören dazu. "Da muss man dann aber konsequent sein", sagt Pani, "Organic Gin und dann gespritzte Limetten dazu, das halte ich für wenig sinnvoll." "Soul-Fruits" kennen beide, das britische Unternehmen hat eine große Auswahl an biologischen Produkten – und beliefert ausschließlich Bars. Was in Joe McCantas Augen von ziemlicher Bedeutung ist, denn "für Köche ist ja unwichtig, ob eine Zitronenschale gut aussieht, Barkeeper haben einfach andere Anforderungen an ihre Zutaten." Apropos Zitrone: Da wittert Joe McCanta "the next big thing". Die Palette der Zitrusfrüchte hat sich in den weltweit besten Bars schon im letzten Jahr erheblich vergrößert und ist weiterhin im Wachsen. Das bedeutet, dass auch Sorten wie Buddha’s Hand, Kaffirlimette oder Yuzu ins Mix-Repertoire einziehen werden.
Von der japanischen Zitrusfrucht Yuzu ist nicht nur Joe McCanta begeistert. Für den britischen Bar-Consulter Angus Winchester steht die Yuzu gleichzeitig für das momentane Überdrüber: Japanese Bartending. Ein Trend, der sich an die japanische Teezeremonie anlehnt, mit demselben Fokus auf Kontemplation, derselben Konzentration und Genauigkeit, mit Achtung der kleinsten Details. "Da wird zum Beispiel ein Grünteelikör in einem unglaublich feinen Strahl von weit oben ins Glas geleert", schilderte Angus Winchester die japanische Art des Cocktailmachens, als er unlängst als Markenbotschafter von Tanqueray Gin in der Bar Halbestadt die aktuellen Strömungen erläuterte. Weiters verwende man in Japan andere Werkzeuge, schüttle mit dem "Japanese Hard Shake" deutlich kältere Drinks und setze stark auf geschmackliche Kontraste, auf den Umami-Effekt: "Das kann einen Drink ergeben, dessen unterste Schicht cremig-samtig ist, der in der Mitte einen süß-fruchtigen Anteil hat und oben von einer scharfen Wasabi-Note mit einem kleinen Salzschock abgeschlossen wird. Je nach Kippen des Glases kommt dann das Umami-Gefühl". Der Gast steht beim Japanese Bartending noch mehr im Mittelpunkt als sonst: Das Herausholen der Flaschen aus den Regalen, das Öffnen der Flaschen, alles wird andächtig zelebriert. Die Zutaten, die in Japan verwendet werden, wandern derweil in Gläser rund um die Welt. Calpico, ein Milchgetränk, Genmaicha, grüner Tee mit gerösteten Reiskörnern, Jasmintee, in Salz eingelegte Kirschblüten, die Salzpflaumen Umeboshi, sogar Misosuppe. Denn wer sagt, dass Drinks immer nur aus süßen und bitteren Bestandteilen bestehen dürfen? Ein Bacon-infused Bourbon ist in den Top-Bars keine Seltenheit mehr, Marco Pani probierte in der "Bar Italia" einen Bourbon mit Pata Negra. "Ich verwende dafür Maker’s Mark, statt aus Roggen wird der nämlich aus Mais, Weizen und Gerste hergestellt, was ihn viel weicher macht, das funktioniert dann mit dem Pata Negra einfach besser." Sein Tipp, um die Infusion bequem auf eine Temperatur von 40 °C zu bringen: im Geschirrspüler erwärmen.
Bei den Infusions und den Sirups sind sich Marco Pani und Joe McCanta einig: Es gibt kaum etwas Spannenderes. Sei es ein Safran-Honig-Sirup, ein Gin, in dem Earl Grey ziehen darf, ein Wodka, in dem Litschis oder Marillen und Sternanis gebadet haben, ein Rum, der mit Grapefruit und Kardamom aromatisiert wurde. "Infusions und Sirups sind quasi unser Rückgrat", sinniert Joe McCanta. "Sie sind unsere Visitenkarte – und das Spannende sind dabei die regionalen Unterschiede." Was in Österreich also ein Mohn-Sirup ist, ist in Schweden ein Sanddorn-Wodka, in Japan ein Wasabi-Sake. Und genau diese regionalen Zutaten solle man dafür verwenden, auch einmal ironische oder abstrahierte Drinks zu versuchen, regt McCanta an. Also vielleicht eine zerlegte böhmische Nachspeise mit Inländer-Rum, Mohn-Sirup und Powidl. Oder einen Root-Beer-Flip, für den ein klassisches amerikanisches Kindergetränk herhalten muss, Root Beer mit Vanilleeis. "Das sind dann Drinks, die nicht jeder versteht, weil nicht alle die kulinarischen Codes kennen." Besonders spannend findet er anachronistische Getränke; Drinks, die so richtig altmodisch sind, wie alles, was auf -og ende, wie Glögg oder Grog, könne man einfach am besten ironisieren.
Die aktuelle Tendenz, seine Mix-Zutaten selbst zu produzieren, führt Joe McCanta nicht zuletzt auf das Werk einiger Verleger wie Mud Puddle Books zurück, die Cocktailbücher der vorigen Jahrhundertwende neu auflegen. Während neuere Bücher meist nur Rezepte für Drinks aus fertigen Zutaten haben, nach dem Motto "welche Flüssigkeiten mische ich in welchem Verhältnis", führen die Bücher vom Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Siruprezepte an, sogar das Whiskeydestillieren oder das Brauen von Bitters werde erklärt, sagt der Barkeeper. Die Bitters sind ja auch so ein Trend und eine Wissenschaft für sich. Als unumstritten gelten die Elixiere der deutschen Firma "The Bitter Truth". Als definierende Zutat für Drinks der alten Schule stehen sie, so Joe McCanta, für eine weitere aktuelle Strömung: die Rückbesinnung auf Klassisches, freilich mit höchsten Qualitätsansprüchen und dem Streben nach größtmöglicher Authentizität. Dass sich nicht jeder Wodka für jeden Wodka-Drink eignet, ist für McCanta, der die Marke Absolut vertritt, klar. Aber auch ein Manhattan soll nicht länger mit Mais-Bourbon gemacht werden, sondern mit Roggen-Destillat, wie es die Originalrezeptur vorsieht. "Man bestellt heute auch nicht einfach einen Margarita, sondern einen mit einem bestimmten Tequila, etwa El Tesoro." Wobei solche Spirituosen aus kleinen Manufakturen schon fast wieder out sind, Liköre wie Crème de Violette, Parfait d’Amour oder Cynar hingegen sind neben den verschiedensten Tees schwer im Kommen, bemerkt er.
Bar Consulter Angus Winchester führt zusätzlich den Einsatz verschiedenster Kräuter an: "Es gibt nicht nur DIE Minze", war eines der Credos, die er bei seinem Wienbesuch am eindringlichsten zu vermitteln suchte – mitunter von äußerst strenger Miene begleitet. "Es gibt Rote Minze, es gibt Apfel-Minze, es gibt Bergamotte-Minze. Außerdem: Denkt an Koriander, Lavendel, Rosmarin oder Shiso." Außerdem bei den wichtigsten Zutaten dabei: Eier, die etwa für Flips verwendet werden. "Vergesst Salmonellen. Das schmeckt einfach zu gut."