Riesling über alles
Keine Frage, seit die deutschen Winzer in den späten 1970ern wieder aufgewacht sind, rangieren ihre besten Weine im internationalen Topsegment – allen voran der Riesling.
Riesling über alles!
Text von Michael Prónay Foto: Andreas Bruckner
Deutschland ist ein Weinland mit historischem Renommee. Bis in die 1940er Jahre des 20. Jahrhunderts hatten deutsche Weine nicht nur ihren Stammplatz auf den Weinkarten der renommiertesten Restaurants dieses Planeten, es waren auch mit Abstand die teuersten Bouteillen: Die deutschen Edelsüßen (Spätlesen, Auslesen, Beerenauslesen, Trockenbeerenauslesen) schlugen selbst die Premiers Crus aus Bordeaux preismäßig um Längen. Das änderte sich nach dem zweiten Weltkrieg, als es in den 1950ern erstmals gelang, einfache Weine zu süßen: durch Zusatz von pasteurisiertem Traubenmost, „Süßreserve“ genannt. Das bedingte dann den totalen Rückschlag in den 1960ern und 70ern, die „süße Plörre“ wurde zu Diskontpreisen verramscht.
Geändert hat sich das nur mühsam. In der zweiten Hälfte der 1970er wurde feine Küche auch in Deutschland populär: Paul Bocuses „Nouvelle Cuisine“ war in aller Munde, und auch in Deutschland wurde feine Küche „in“ wie nie zuvor. Hand in Hand damit ging die Suche nach passenden – logischerweise trockenen – weißen Weinen (in Rot waren Frankreich und Italien ohnehin schon lang auf dem Markt vertreten). Soave, Frascati und Elsässer Edelzwicker hatten ihre große Zeit, bis die deutsche Winzerschaft wieder aufgewacht war.
Seither gibt es wieder feine trockene deutsche Weißweine, wobei Deutschlands mit Abstand bekannteste und beste Sorte, der Riesling, führend ist. Von den etwas über 100.000 Hektar, die bei unserem Nachbarn unter Reben stehen, stellt der Riesling als meistangebaute Sorte knappe 22 %, gefolgt vom Müller-Thurgau (13 %) und den roten Sorten Spätburgunder (Pinot Noir, 12 %) sowie der Neuzüchtung Dornfelder (8 %).
Etiketten-Wirrwarr. Deutschland hat das wohl mit Abstand komplizierteste Bezeichnungsrecht, das es auf diesem Planeten gibt. Das größte Problem, vor dem man als Konsument steht, ist: Wie trocken oder süß ist der Wein in der Flasche vor mir? Die mit Abstand beste Lösung wäre, die vier Süßegrade des EU-Weinrechts, nämlich „trocken“, „halbtrocken“, „lieblich“ und „süß“, auf dem Etikett verpflichtend anzugeben, wie das in Österreich der Fall ist. Dagegen hört man aber die verschrobensten Argumente: „‚Halbtrocken‘ gibt es ebensowenig wie ‚halbschwanger‘!“ Dass es in Österreich wunderbar funktioniert – wie auch EU-weit (Deutschland inklusive) beim Schaumwein –, das geht in deutsche Köpfe offenbar nicht hinein.
Also geben wir unsere Tipps ab: Wo „trocken“ draufsteht, ist auch Trocken drinnen. Der Umkehrschluss stimmt aber nicht, auch bei unserer kleinen Probe hatten wir von den zwölf trockenen Weinen zwei, bei denen die Bezeichnung fehlte. Bei einem könnte man es wissen: Beim Gunderloch-Wein steht „GG“ für „Großes Gewächs“, und so eines muss trocken sein. Wir zitieren aus Wikipedia: „Großes Gewächs bezeichnet die höchste Klassifikationsstufe für Weine aus Weingütern, die Mitglied des Verbandes Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter (VDP) sowie des Bernkasteler Ringes sind. Neben dem Adler-Logo des VDP sind die Weinflaschen der Mitglieder des VDP mit dem Logo Erste Lage (eine Eins mit nachgestellter, unterstrichener Traube) am Flaschenhals versehen. Im Weinanbaugebiet Rheingau wird statt der Bezeichnung „Großes Gewächs“ die Bezeichnung „Erstes Gewächs“ verwendet. Weinflaschen der Klassifikationsstufe „Großes Gewächs“ der Winzervereinigung Bernkasteler Ring werden mit dem Logo des Verbandes (ein Doppel-G auf dunklem Grund und Beschriftung Bernkasteler Ring – Riesling Weingüter) gekennzeichnet.“ Na bitte, komplizierter geht’s nimmer!
Ein weiterer Tipp: Bei Alkoholgehalten unter zehn oder elf Prozent – insbesondere, wenn die Prädikatsstufe Spät- oder Auslese aufscheint – liegen die Weine definitiv auf der süßen bis sehr süßen Seite.
Unsere Probe. Wir baten die Importeure um deutsche Weißweine und ersuchten um Angabe des Restzuckergehalts; wo er angegeben war, haben wir ihn abgedruckt. Wir bekamen 20 Weine, 19 davon waren Rieslinge, was insofern nicht verwundert, handelt es sich doch um die renommierteste Sorte. Zwölf Weine waren trocken, acht lagen süßemäßig darüber. 18 Weine waren Weine, wie man sie üblicherweise kennt, zwei waren alkoholfrei. (Weiteres Alkoholfreies aus Deutschland bitte unter den „Neuigkeiten aus aller Welt“ nachzulesen.) Blind verkostet wurde vom Stamm-Team (Sandra Büchler, Dietmar Bruckner und dem Autor), zuerst die trockenen (geordnet nach aufsteigendem Alter, bei gleichem Jahrgang nach steigendem Alkohol), danach die nicht trockenen, geordnet nach aufsteigendem Zuckerrest. Die besten Weine sind – da gibt es keinen Zweifel – auf internationalem Topniveau. Sieht man sich die Preise an, kann man nur eines sagen: Rasch zugreifen!
Verkostung
Deutschland trocken
2010 Erdener Treppchen Riesling Spätlese trocken Selektion Andreas Schmittges, Mosel 92
13 %, 9 g/l, DV, St. Stephan € 16,80
Die Nase öffnet sich üppig, Veilchen und Marillenröster gehen wunderschön auf; klassisch, druchvoll, stoffig, Schmelz, grandios.
2010 Rheingau Riesling Kiedricher trocken, Robert Weil 91
12,5 %, 7,5 g/l, NK, St. Stephan € 21,80
Feine Dichte, saftige Fülle, Kamille, auch Trockenblüten, dahinter ein zarter Pfirsichhauch; ganz zarter Muskathauch, auch ein Hauch von fein dosierter Schärfe, ausgezeichnet.
2010 Steinterrassen Riesling trocken, Gut Hermannsberg Nahe 91
12,5 %, 4,7 g/l, NK, Wein & Co € 27,99
Ganz und gar klassische Steinobst-Sorten-Nase, dazu auch Brioche und Feuerstein; präsente Frucht, feine Kamille, schöne Dichte, feine Länge, ausgezeichnet.
2009 Pettenthal Nierstein Riesling GG, Gunderloch, Rheinhessen 91
13,5 %, 8 g/l, DV, Wein & Co € 29,99
Feine Fülle, wunderschöne Reife, Lindenblüten, auch wieder getrocknete Kräuter, Kamille und Petrol; feine reife Fülle, sehr gereift, dafür prickelnde Mineralik, tolle Sache.
2011 Bodenschatz Riesling trocken, St. Antony Rheinhessen 91
12 %, 5,8 g/l, DV, WeinArt Wolf € 9,50
Kreidigsteinig, die Mineralik liegt über der Frucht; kommt am Gaumen wunderschön, knackig, Granny-Smith-Apfel, hintendrein feine Kühle, guter Druck, sehr fein.
2010 Riesling von der Fels trocken, Keller, Rheinhessen 91
12 %, NK, mywine.at € 17,90
Freundlich, nett, floral, aber auch mit feiner Sortenwürze versehen, zarter Marillenröster; feines Spiel, schöne Balance, zarter Zuckerrest spürbar, ausgesprochen anspruchsvoll.
2010 Niederhäuser Riesling trocken Gut Hermannsberg, Nahe 90
12 %, 5,1 g/l, DV, Wein & Co € 19,99
Feine Reife, klare Marillennoten, dazu schiefrige Noten und Weißbrot-Croutons; druckvoll, gute Struktur, lebendig, klare Frucht, sehr fein.
2007 Ölberg Nierstein Riesling trocken, St. Antony Rheinhessen 90
13 %, 7,2 g/l, NK, WeinArt Wolf € 26,50
Sattes Gelb; wunderschön gereifte Struktur, die Schieferwand lässt grüßen, auch Bienenwachs, der Spätlesecharakter kommt durch; Trockenfrüchte, Crème Brulée, jetzt auf dem Höhepunkt.
2010 Lorcher Krone Riesling Eva Fricke, Rheingau 90
12,5 %, NK, Wagner € 42,–
Eindeutig steinig, Mineralität pur, die Würze kommt ganz zart, dazu ein Hauch Grapefruit und Heublumen; geht herrlich auf, die Säure passt, trocken, sehr fein und aktiv.
2010 Riesling trocken F. P. Buhl Reichsrat von Buhl, Pfalz 88
12 %, 5,7 g/l, NK, Wein & Co € 19,99
Verhalten, auch ein Hauch von Petrol, etwas Bratapfel; am Gaumen hübsche Frucht und Lebendigkeit, guter Biss, sehr ordentlich.
2011 Riesling Maximus Hochgewächs trocken, Stoffel Mosel 88
11,5 %, 8,6 g/l, DI, Sonnenhof € 8,50
Ganz und gar klassische Rieslingnase, freundlich, floral, Veilchen; ein wenig verhaltene Frucht, noch nicht am Punkt, braucht Geduld.
Deutschland halbtrocken und süss
2009 Genius Riesling Auslese Leiwener Laurentiuslay Stoffel, Mosel 95
7,5 %, 149 g/l, NK, Sonnenhof € 16,– (0,5 l)
Absolut klassische Mosel-Riesling-Prädikatsnase, Orangenhonig, Kräuter; herrliche Menthol-Pfirsich-Aromatik, prachtvoll, saftig, tollster Stoff.
2010 Wehlener Sonnenuhr Riesling Kabinett, Kerpen, Mosel 93
8,5 %, 59 g/l, DV, Wein & Co € 10,99
Ganz und gar klassisch, Kumquats und getrocknete Marillen; herrlich klare Sortensüße, die Balance passt perfekt, absolut toller Stoff.
2009 Wehlener Sonnenuhr Riesling Spätlese, Kerpen, Mosel 92
8,5 %, 70 g/l, DV, Wein & Co € 13,90
Herrlich klare, dichte Sortennase, Marillen und Ananas, auch Trockenkräuter und Zitronenpfeffer; am Gaumen herrliche Melange, dazu rauchiger Touch, Zucker perfekt integriert, großer Stoff.
2011 Riesling Kabinett feinherb Leiwener Klostergarten Stoffel, Mosel 92
10 %, 22 g/l, DV, Sonnenhof € 8,–
Klassische Riesling-Frucht, dropsig, ganz deutliche Marille; wunderschön saftig, dezent süß, der Fun-Faktor ist absolut vorhanden.
2010 Riesling, Dönnhoff Nahe 90
9,5 %, NK, mywine.at € 9,90
Sehr freundliche, wirklich typische Rieslingnase, klares Steinobst, Haribo Pfirsich; dezente Süße, sehr hübsch, lebendig und saftig.