Röstfrisch

Klein- und Mikro-Röstereien sind ein wesentliches Merkmal aktueller Urbanität. Und auch in Wien tut sich da sehr plötzlich sehr viel.

Röstfrisch

Text: Florian Holzer · Fotos: Julia Stix

Fahrradshops mit Fixie-Rädern, Suppenküchen, Bio-Bauernmärkte, Underground-Bäckereien, Flashmobs, iPad-Freizeit – Amsterdam, Berlin, London, Brooklyn/Williamsburg, dort gehört das zum Lebensstil, das sind die Zentren des Bohemièn-Bourgeois-Lebensstils, dort will man sich in kollektivem Individualismus üben. Und Kaffee trinken, individuellen Kaffee, ausgewählt, importiert und geröstet von individualistischen Selbstverwirklichern. Die damit für Kaffees sorgen, die zwar nicht einer Marke entsprechen, aber dafür jeder für sich eine Geschichte erzählt.

Im Rahmen einer zwar langsamen, aber unaufhaltsamen Entwicklung zu einer modernen Stadt mit zeitgemäßer Lebenskultur passierte da auch in Wien etwas – und für die Wiener Kaffeekultur-Verhältnisse sogar rasend schnell. Im vergangenen Jahr erschienen nicht weniger als fünf neue Kleinröstereien oder Kaffee-Projekte auf der Bildfläche, jeder mit einem anderen Zugang, jeder mit bemerkenswert guten Kaffees.

Johanna Wechselberger, zum Beispiel, kann man ohne Weiteres als „Kaffee-Verrückte“ bezeichnen: Schon während ihrer Zeit als Besitzerin einer kleinen Werbeagentur experimentierte sie mit Haushalts-Röstgeräten aus den USA, zerlegte ihre Espressomaschinen, baute sie wieder zusammen und begann die Maschinerie auf diese Art zu verstehen. 2004 eröffnete sie mit ihrem damaligen Mann am Naschmarkt den Mocca Club, bei dem sie mit einem Kleinröster im 15. Bezirk zusammenarbeitete, 2006 begründete sie die Vienna School of Coffee, in der Kurse und Barista-Trainings angeboten werden, ist Mitglied der SCAE (Speciality Coffee Association Europe) und eine von drei Master-Baristas weltweit. Darauf ist sie sehr stolz.

Seit ein paar Wochen röstet sie auch. Sie mietete sich in einem traumhaft schönen Ziegelbau im Stockerauer Industriegebiet ein und stellte dort eine kleine 7-Kilo- Röstanlage auf, die ganz nach ihren Wünschen speziell angefertigt wurde, mit Extra-Motoren und so ziemlich allen Zusatzfunktionen, die es ihr erlauben, die Röstung zu steuern. Zwei bis drei Mal pro Monat wirft sie das „Wunderding“ an, experimentiert, mischt, probiert, „ich bastle gern“, sagt sie. Die Mischung Der Kräftige war ursprünglich eine ihrer customized blends, die sie mit Kunden gemeinsam für deren ganz spezielle Bedürfnisse zusammenstellt, Johanna Wechselberger war mit der Mischung aber so zufrieden, dass sie in ihr eigenes Programm aufgenommen wurde. Der Süße gibt es auch noch, einen Seattle Blend, einen Columbian Blend oder einen Superstrong. Single Origins kommen auch noch dazu, „ich suche besondere Kaffees, die für große Röster zu teuer und zu exklusiv sind, und teile mir die ein, zwei Säcke dann mit anderen, befreundeten Kleinröstern.


Diesen Schritt hat Georg Branny noch vor sich, wenngleich nicht weit vor sich. Branny ist Sohn einer Wiener Cafetier-Familie, seinen Eltern gehört das Café Maximilian, er selbst begann zu studieren, jobbte als Fitness-Trainer und Model und fand schließlich Gefallen an Barista-Meisterschaften und an der Konzeption von Espresso-Cocktails.

Diese Mischung in Verbindung mit einem ausgeprägten Show-Talent war es, die diverse Spirituosen-Erzeuger, aber auch Röstereien oder Kaffeemaschinenhersteller dazu brachten, den jungen Mann für Präsentationen, Tourneen, Schulungen und Events zu buchen. Branny gewann die Staatsmeisterschaften in einer Disziplin namens „Latte Art“, bei der es darum geht, Milchschaum in hübschen Formen und Figuren auf dem Kaffee zu positionieren, 2007 wurde er bei der diesbezüglichen Weltmeisterschaft sogar Vierter.

Im Jänner 2010 übernahm er ein kleines Geschäftslokal in der Garnisongasse, das ihm eigentlich als Trainings- und Präsentationsraum für seine Espresso-Cocktails dienen sollte, und machte Kaffee für alle, die hereinfanden. Das wurden mit der Zeit immer mehr, nicht zuletzt, weil es ja auch wirklich Spaß macht, Georg Branny dabei zuzusehen, wie aus Bohnen, Wasser und Milch ein wunderschöner Caffè Latte wird. Einstweilen arbeitet Branny noch mit zwei Röstungen, die er sich nach eigener Rezeptur in Mailand rösten lässt, eine eigene Röstanlage im Nebengebäude ist aber in Planung, nächstes Jahr soll es soweit sein.

Das Selberrösten stand auch bei der Planung von Christian Akraps Kaffeekarriere ganz vorne, „aber mit einem 5-Kilo-Röster wollten wir erst gar nicht anfangen“ und eine große Maschine war ihm für den Anfang dann doch zu riskant. Vor dreieinhalb Jahren begann Akrap mit der Planung seines Projektes, besuchte Messen, ließ sich Proben kommen, suchte nach möglichen Partnern und fand in Mailand schließlich eine kleine Rösterei, die Akraps Mischungen nach seinen Vorstellungen röstet.

Herzstück seiner Kollektion ist eine Arabica aus Uganda vom Mount Elgon, Bohnen von einer Kooperative, die gerade auf Nachhaltigkeit umstellt, nur selektioniert reife Bohnen in Topqualität abnimmt, dafür aber gleich den vollen Preis bezahlt (was unüblich ist). Eine andere Arabica kommt aus Brasilien, die übrigen Mischungen entsprechen der klassischen Espresso-Formel.

Nachdem Akraps Hauptabnehmer derzeit kleinere und mittlere Gastronomiebetriebe in und um Wien sind, lässt er in Italien auch cialde pressen. Die eigene Röstanlage soll in drei bis fünf Jahren Realität sein, der eigene Kaffeeladen wahrscheinlich schon diesen Herbst, „eine Drehscheibe für Kaffee, wo man Akraps Kaffees nicht nur verkosten, sondern auch diverse Utensilien zur häuslichen Zubereitung erwerben kann.“

Tobias Radinger hatte den Umgang mit Kaffee ursprünglich in der Fremdenverkehrsschule gelernt, gepackt hat ihn das Fieber allerdings erst, als er als damaliger Teilhaber der szenigen Bücher-Platten-Antiquitäten-Bar phil in der Gumpendorfer Straße mit einer antiken Espressomaschine Faema E61 und den Bohnen der Veroneser Rösterei Pellini zu tun hatte. Irgendwann dachte er sich, dass man da individuell noch sehr viel besser machen könnte, vor allem durch direkteren Handel mit den im Kaffee-Business grundsätzlich ausgebeuteten Bauern und Pflanzern, bereiste einige Anbaugebiete und war von Äthiopien besonders beeindruckt.

Über eBay besorgte er sich eine kleine Faema, renovierte sie, „und das mit dem Selberrösten kam dann auf einmal.“ Er experimentierte mit eigenen Röstungen aus kleinen Hand-Röstgeräten und stellte sich schließlich vor einem Jahr eine 5-Kilo-Rösttrommel in einer Halle in Simmering auf und verteilte seinen Kaffeefabrik-Kaffee unter Freunden und Verwandten.

Der ursprüngliche Plan einer Kombination aus Kaffeebar und Rösterei scheiterte an den Genehmigungen, weshalb Radinger in seinem soeben eröffneten Laden in der unteren Favoritenstraße, einem ehemaligen Kunstpelzgeschäft, also nur die alte Espressomaschine stehen hat und zwei Mühlen – eine mit einer Arabica-Mischung befüllt, die andere mit einem außerordentlich aromatischen äthiopischen Waldkaffee aus Bonga, Region Kaffa.

Radingers Kaffeefabrik ist sicher das unkonventionellste und schrägste der aktuellen Wiener Espresso-Projekte, von Eleganz oder Chic ist in dem kleinen Laden keine Spur, von cooler Urbanität dafür umso mehr.


Und auch Ilker Amuraben kam von einer ganz anderen Seite zum Kaffee, er war bis vor kurzem Manager bei einer Baufirma in Rumänien. Nachdem diverse Projekte abgeschlossen waren und seine Frau ohnehin in Wien lebte, beschloss er, seinen Traum wahr zu machen und von nun an nur mehr seinem Hobby frönen zu wollen, dem Kaffee.

Selbst geröstet habe er immer schon, allerdings in Wok-Pfannen oder alten Haus-Rösttrommeln. Das ginge ganz gut, sagt er, ein einheitliches Röstbild bekäme man halt nicht zusammen. Jetzt hat er eine adrette, kleine Petrocini-Röstmaschine in seinem im Februar eröffneten Coffeeshop stehen, die allerdings noch nicht angeschlossen ist – Umbauten und Genehmigungen, um das Ding in Betrieb zu nehmen, wären derzeit etwas zu viel, weshalb seine Bohnen vorerst bei anderen österreichischen Röstern Farbe annehmen, zum Beispiel in der Rösterei Alt Wien in der Schleifmühlgasse. Für Ilker Amuraben sind nur Single Origins interessant, also Plantagen- und Herkunftskaffees, die er aus Hamburg, Antwerpen und der Schweiz im Rohzustand bezieht.

„Ich röste nicht so dunkel, so bleibt mehr vom Aroma erhalten und auch ein bisschen Säure“, sagt er, sechs verschiedene Topkaffees bietet er derzeit an, aus Brasilien, Burundi, Guatemala, Costa Rica, Indonesien und Äthiopien, ausschließlich Arabica, jeden zweiten Tag gibt es einen dieser Kaffees offen als Espresso, Latte macchiato oder notfalls auch mit Eis. Demnächst kommen noch drei weitere dazu, einer aus der Dominikanischen Republik, einer aus Kolumbien und ein weiterer aus Äthiopien, das Ziel ist neben dem florierenden Coffeeshop in der Servitengasse vor allem ein europaweiter Handel über seinen Webshop.

Es scheint jedenfalls, als sei jetzt auch beim Kaffee die Zeit vorbei, wo man einfach nur einen kleinen Braunen oder eine Melange trinken konnte/musste. Kaffee ist nicht mehr anonym, sondern hat Namen, Gesichter und eine jeweils individuelle Philosophie.

röstfrisch-Adressen

Johanna Wechselberger – die Rösterin
Heid-Werkstrasse 4/Objekt 67a

2000 Stockerau

T 0650-639 93 60

www.dieroesterin.at

Kaffee beziehbar bei Vienna School of Coffee,
Hahngasse 22/1, 1090 Wien,
Fr. 10–18, Sa. 10–15 Uhr,
www.viennaschoolofcoffee.at

Georg Branny – Café Couture
Garnisongasse18
1090 Wien
T 0676-332 20 76

Christian Akrap – Akrap coffee
Königsklostergasse 7/6
1060 Wien
T 01-587 21 52
www.akrapcoffee.com

Tobias Radinger – Kaffeefabrik
Favoritenstrasse 4–6
1040 Wien
T 0660-569 88 60
www.kaffeefabrik.at

Ilker Amuraben – Caffè a Casa

Servitengasse 4A
1090 Wien
T 01-315 19 78
www.caffecasa.com