Schwedenriesling

Im Kremstal produziert ein junges Winzerpaar nicht nur hervorragende vegane Weine,sondern betreibt auch einen Heurigen der etwas anderen Art.

Text von Christina Fieber · Fotos von Klaus Vyhnalek

In einer der kleinen verwinkelten Gassen in Stein bei Krems hat ein Heuriger ausgesteckt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches in einem niederösterreichischen Weinbaugebiet. Wäre da nicht diese blau-gelbe Fahne über der Eingangstüre.

Im Hof alte Weinbauwerkzeuge, bäuerlich bemalte Töpfe und Vasen, ein paar Bilder – alles liebevoll arrangiert. Auch in den Verkostungsräumen das typische Bild eines Heurigen. Eine alte Presse, Weinfässer und uriges Inventar. Allein die Hauerjause mutet ein wenig ungewöhnlich an: Lachsbrote mit frischen Gurken und Zwiebelringen, Matjes, Polarbraten und allerlei nordische Fischgerichte.

Was wie der Empfang für die schwedische Handelsdelegation wirkt, hat einen simplen Grund: Urban Stagård ist Winzer, Heurigenwirt und halber Schwede. Sein Vater kam vor vielen Jahren als Maschinenbauingenieur aus dem hohen Norden nach Krems und heiratete in eine Winzerfamilie ein. In Abendkursen lernte er Weinbau und gab dem Gut seinen schwedischen Namen. Damals wurde vorwiegend für den Heurigen in Flaschen gefüllt, während die restlichen Trauben verkauft wurden.

Inzwischen führt Urban Stagård mit seiner Freundin Dominique das Weingut. Das junge Paar hat einen harten Bruch mit den familiären Traditionen gemacht und einen völlig neuen Weg eingeschlagen. Sie setzen ausschließlich auf Qualität. Nichts erinnert mehr an die vorige Generation, bis auf die schwedische Hauerjause.

Dabei interessierte ihn Wein lange Zeit gar nicht, bekennt der junge Winzer. Die Weinbauschule habe er halt so runtergebogen und dann sei er ins Ausland auf Montage gegangen. „Um einmal so richtig hart zu arbeiten.“ Irgendwann ist er dann in Wien gelandet, um bei einem großen Weinhandelsunternehmen zu jobben. Dort stieß er auf eine Gruppe von Weinfreaks, die allabendlich private Verkostungen organisierten. „Verrücktes Zeug“ haben sie getrunken. Stagård leckt Blut und beschäftigt sich von nun an auch wieder mit dem Weingut zuhause. Dort zeigt man sich allerdings nur mäßig begeistert von seinen Weineskapaden und schnell wird klar, dass sich die Wege der Generationen trennen müssen.

In Wien lernt Urban auch seine Freundin Dominique kennen und mit ihr kann er sich erstmals vorstellen, seine eigene Geschichte durchzuziehen.

Noch vor der Übernahme haben sie nach organisch-biologischen Richtlinien gearbeitet, inzwischen ist der Betrieb zertifiziert. Seit 2008 führen sie das Weingut alleine. Zusätzliche Lagen wurden gepachtet und neue Schwerpunkte gesetzt.

„Es war der reine Überlebenskampf!“ erinnert sich Dominique an die ersten Jahre, die noch gar nicht so lange zurückliegen. Am Anfang schmeckten die Weine nicht immer so, wie sie es sich vorstellten und auch die Umstellungsphase auf bio macht ihnen zu schaffen. Sie zweifeln und hadern mitunter, bleiben aber auf ihrem Weg.

Beide mussten neben dem Weingut noch andere Jobs machen, um sich über Wasser zu halten. Dazu schupften sie den Heurigen, der nicht nur zu einer wichtigen Einnahmequelle wurde, sondern ihnen auch zu Bekanntheit verhalf. Der „schwedische Heurige“ galt als ein Exotikum in Krems und wurde zum Treffpunkt für Weinfreaks. Mittlerweile gelten sie als die neuen Shootingstars der Szene und sind stolz, es ganz alleine geschafft zu haben.

Marketing und Aktivitäten über Social Media locken auch junges Publikum an: Im letzten Sommer organisierten sie nach deutschen Vorbild einen Flashmob, oder wie sie es nannten „Flaschenmob“ übers Internet: In Krems und in einem Wiener Park trafen einander völlig unbekannte Menschen zum öffentlichen Weintrinken. Auf steife Verkostungsszenarien wurde dabei bewusst verzichtet. Jeder Teilnehmer brachte eine Flasche seines bevorzugten Weines und ein Glas, teilte ihn mit wem er wollte, naschte bei anderen oder setzte sich einfach ins Gras und genoss das weinselige Treiben. Über 300 junge Weinliebhaber haben sich übers Internet vernetzt und organisiert. Nächsten Sommer geht es weiter.

Aber auch was sich im Inneren der Flaschen abspielt, ist so ungewöhnlich wie gut: Stagårds große Liebe gilt den Rieslingen und zufällig sind die Lagen, die er bewirtschaftet, dafür auch ziemlich geeignet. Er will sich auf die edle Weißweinrebsorte konzentrieren und sie aus möglichst vielen verschiedenen Weinbergen abfüllen. Derzeit schlummern Rieslinge aus sieben verschiedenen Steiner Lagen in seinem Keller. Charakteristisch sind sie völlig verschieden, gemeinsam ist ihnen ihre Präzision. Zwei Lagen, Steiner Hund und Steiner Schreck, gibt es schon seit einigen Jahren. Sie sind wie zwei ungleiche Geschwister. Während der Riesling vom „Hund“ artiger, feinziselierter und filigraner daherkommt, ist der „Schreck“-Riesling ungehobelter und kruder, mit würziger, dunkler Aromatik, schmeckbar vom Blauschiefer geprägt. Beide sind von einer glasklaren Stilistik, die nichts behübscht. Das macht sie so anziehend. Es sind keine sättigenden Weine, vielmehr bekommt man Lust auf mehr. Weine zum Trinken.

Wirklich zur Sache geht es beim „Steinzeug“, einer Selektion der besten Trauben aus verschiedenen Lagen. Der Riesling 2011 wurde 28 Stunden auf der Maische vergoren. Ziemlich lange für einen Riesling. Entsprechend dezidiert schmeckt er auch: Tief, dunkel, abgründig wie eine geheime Leidenschaft. Ein Riesling, der sich in die Seele gräbt.

Der Veltliner Steinzeug wurde gar mit 100 Prozent Maische spontan vergoren. Seine bernsteinfärbige Flüssigkeit verrät, was hier gespielt wird: Orange Wein vom Feinsten. „Er ist unfiltriert und möchte dekantiert werden“, steht am Etikett. Ein zweckdienlicher Hinweis, für den man dankbar ist, öffnet der Wein sein vielschichtiges Aromenspiel doch erst nach einer intensiven Luftkur.

Der junge Weinmacher hat eine klare Richtung eingeschlagen, ist aber durchaus offen für Impulse von außen. Man diskutiert und verkostet mit Kollegen und Experten, lotet sich noch aus. Stagård ist keiner der so tut als hätte er die Weinwahrheit für sich gepachtet.

Alle seine Weine sind übrigens vegan. „Eigentlich ist das eher zufällig passiert, ich wollte keine Schönung mit Hühnereiweiß und so bin ich auf Erbsenprotein gestoßen.“

Die Schönung mit Eiweiß hat die Funktion, die Trübstoffe im unfertigen Wein zu binden, um sie leichter entfernen zu können. Der Wein wird dadurch klarer, stabiler und oft auch geschmacklich zugänglicher. Die Verwendung von pulverisiertem Protein aus Erbsen hat eine ähnliche Wirkung, mit dem Unterschied, dass der Wein dabei mit keinen tierischen Eiweißen in Berührung kommt. Ein strenges Muss bei Veganern, die keinerlei Produkte von Tieren in der Nahrung dulden. Dominique hat den Wein auch gleich bei der Veganen Gesellschaft eingereicht. Somit sind sie einer von wenigen Weinproduzenten mit zertifiziert veganem Wein. Auch wenn sie selbst keine diesbezüglichen ideologischen Vorlieben haben, sehen sie den Trend: Immer mehr Menschen haben offensichtlich das Bedürfnis, aus ihrer Ernährung eine Religion zu machen. Die vegane Gemeinde ist gut vernetzt: Im nächsten Sommer wird es im Wiener Eisgeschäft „Veganista“ ein Rieslingeis vom Weingut Stagård geben, im Gegenzug wird der schwedische Heurige mit veganem Eis beglücken.

Einziger Wermutstropfen oder vielmehr Schwedenbitter: Veganer trinken meist keinen Alkohol.