Spröde Schönheit

Spröde Schönheit Nur einige Kilometer über der Küste zwischen Triest und Duino liegt eine der spannendsten Weinregionen Europas. Der Karst im Grenzgebiet von Italien und Slowenien ist karg und rau. Den Winzern im Karst ist es gelungen, Weine zu machen, die den Charakter dieser Landschaft tragen. Eigenwillig und voller Intensität. Text: Christina Fieber · Fotos:…

Spröde Schönheit

Nur einige Kilometer über der Küste zwischen Triest und Duino liegt eine der spannendsten Weinregionen Europas. Der Karst im Grenzgebiet von Italien und Slowenien ist karg und rau. Den Winzern im Karst ist es gelungen, Weine zu machen, die den Charakter dieser Landschaft tragen. Eigenwillig und voller Intensität.

Text: Christina Fieber · Fotos: Gerd Kressl

Von der Terrasse der Osmizza oben im Karst bietet sich ein spektakulärer Blick über den Golf von Triest. Es ist Hochsaison an der Adriaküste und das rege Treiben ist selbst aus großer Entfernung wahrnehmbar. Frachtschiffe, Luxuskreuzer, Segelschiffe und Fischerboote durchqueren den Golf in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Riesige Yachten ankern im Hafen von Triest und an den Stränden zwischen Duino und Grado tummeln sich die Badenden und die Sonnenanbeter. Ein Bild mediterraner Heiterkeit.

Oben im Karst begegnet man einer völlig anderen Welt. Nur wenige Kilometer von der Küste herrscht eine beinahe seelige Ruhe und Beschaulichkeit. Als hätte der Fortschritt vor den winzigen Dörfern im Karst Halt gemacht. Die Zeit scheint seit Jahrzehnten stillzustehen. Von den kleinen Kirchen bröckelt die Fassade und die alten Häuschen sind schlicht. Niemand scheint Interesse daran zu haben, sie zu renovieren und der Gegenwart anzupassen.

Auf den ersten Blick wirkt dieses Hochplateau zwischen Meer und slowenischer Grenze rau und karg, dominiert von Stein und roter Erde. Es riecht nach wilden Kräutern und nach Salz. Und doch ist jeder einzelne Quadratmeter bepflanzt und beackert. Mühsam ringen die Menschen hier der Natur das Äußerste ab.

Wunderbare Voraussetzungen für den Weinbau, ist doch der Rebstock an sich eine Pflanze von eher masochistischer Natur. Er liebt die Kargheit und extremen Bedingungen des Karsts.

Benjamino Zidarich ist hier geboren und seine Familie baut seit Generationen Wein an. Ihm gehört auch die Osmizza mit dem atemberaubenden Ausblick. Osmizza ist die Antwort des Karsts auf Österreichs Heurige und stammt noch aus der k. u. k. Zeit.

„Der Weinbau hier ist ein mühsames Unterfangen, aber unsere Weine sind so besonders, dass es sich lohnt!“, meint der junge Winzer stolz. Tatsächlich ist es im Karst mit einem enormen Aufwand verbunden, Weingärten anzulegen: Die Böden sind so hart und felsig, dass ohne komplizierte Vorbereitung keine Reben wachsen könnten. Zuerst müssen die Büsche gerodet werden, dann wird aus den Tiefen der Dolinen die eisenhaltige, rote Erde abgetragen und in den entstehenden Weingärten aufgeschüttet. Erst nach dieser Prozedur kann mit der Pflanzung der Rebstöcke begonnen werden.

Ohne vorheriges Präparieren des Bodens könnten die Pflanzen keine Wurzeln schlagen. „Bis die ersten Trauben gelesen werden können, dauert es zehn Jahre“, seufzt Zidarich.

Die Weingärten liegen geschützt in Mulden oder werden terrassenförmig auf den steilen, Richtung Meer abfallenden Hängen angelegt. Der Mix aus mildem mediterranen und rauem Kontinentalklima des Nordens verlangt den Reben einiges an Widerstandskraft ab, aber in diesem Spannungsfeld entsteht genau jene Mischung aus reifer Frucht und kühler Eleganz, die Weinliebhaber auf der ganzen Welt suchen.

Auch die Menschen im Karst scheinen vom extremen Klima geprägt. Die slowenische Minderheit war immer schon gezwungen, sich gegen widrige Umstände zu behaupten. Die Weinbauern haben sich sowohl den geologischen als auch den klimatischen Gegebenheiten angepasst: Unabhängig von Trends bauen sie heimische Reben an, die dem harten Klima im Karst gewachsen sind.

Edi Kante war einer der ersten, die sich den allgemeinen Moden widersetzt haben und Chardonnay, Sauvignon und Pinot blanc ausgerissen haben, um Vitovska, Malvasia und Terrano zu pflanzen.

Seine Weine erlangten in den italienischen Fachjournalen Höchstbewertungen. Er ist ein Pionier und hat dem Karst zu seinem Selbstverständnis verholfen: „Wir wollen keine Kopien der immergleichen Weine produzieren, sondern eigene Maßstäbe setzen“, zeigt er sich selbstbewusst.

Noch heute ist der exzentrische Winzer eine Leitfigur der Region. Er initiiert immer neue Projekte, um seinen Weinen noch mehr Eigenständigkeit zu verleihen. So ließ er z.B. eigene Flaschengrößen produzieren, um eine bessere Lagerfähigkeit zu erreichen. Normen sind ihm ein Gräuel. Zuletzt experimentierte er mit Amphoren aus Karstgestein, um den Wein auch dort reifen zu lassen, wo er herkommt.

Rund um Edi Kante formierte sich ein Gruppe aus Winzern, die sich dem traditionellen Regionalismus verschrieben haben, den sie mit modernem Know-how verknüpfen.

Der junge Matej Lupinc, der in Laibach Agrarwissenschaften studierte, versucht die traditionellen Verfahren zu verfeinern und schlanke, feinfruchtige Weine zu produzieren. Selbst der raubeinige Vitovska zeigt sich bei Lupinc von der eleganten Seite.

Im Kontrast dazu der Vitovska von Benjamino Zidarich: Er ist ungefiltert und grob. Statt Fruchtaromen ist er von erdigen Noten geprägt. Fantastisch eindringlich und fordernd. Genau wie der Karst.

Vitovska ist eine besonders robuste Rebsorte, die sich auch von der Bora, dem grausam kalten Sturm aus dem Norden, nicht beeindrucken lässt.

Trotz der prägenden Umstände der Natur hat jeder der Karst-Winzer seine ganz eigene Stilistik: Sandi Škerks Weine sind zart und sanft, ihre widerspenstige Natur schlummert besänftigt und muss sich nicht produzieren. Wie der Winzer sind seine Weine ruhige, aber bestimmte Persönlichkeiten. Škerk versucht, seinen Geschöpfen Freiheit und Eigenständigkeit mitzugeben. Er arbeitet biologisch und malträtiert sie auch im Keller nicht mit technischen Foltermethoden. Seine Weißweine liegen wie die Roten einige Zeit auf der Maische. Der lange Kontakt mit den Schalen gibt ihnen Substanz und Tiefe. Sie werden spontan in offenen Holzbottichen vergoren, nicht geklärt und unfiltriert in die Flaschen gefüllt.

Danach ruhen sie in den tiefen Kellern aus Karstgestein, die Škerks Vater mit Diamantsägen dem Inneren der Erde abtrotzte. Drinnen ist es kühl und feucht. So gefällt es den Weinen. Am Gaumen präsentieren sie sich füllig und vielschichtig. Salzige und satt-fruchtige Aromen vermischen sich zu einem harmonischen Ganzen.

„Weinbauer zu sein, ist kein Beruf, sondern eine Lebensentscheidung“, ist er überzeugt, und ein zufriedenes Lächeln huscht über sein nachdenkliches Gesicht. Er scheint für sich die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Neben Vitovska, Malvasia und dem trotzigen, roten Terrano kreiert Sandi Škerk Cuvées, die nicht von dieser Welt sind. Ograde heißt dieses Wunderwerke aus all seinen weißen Rebsorten. Ograde ist der Name für kleine Weingärten, die Bauern des Karsts früher vor ihren Höfen pflanzten. Ein Kleinod, das keinen Regeln unterworfen war.

Auch Škerks Ograde unterwirft sich keinerlei Normen. Von der langen Mazeration hat die weiße Cuvée eine rötliche Färbung. Das Herz des Karsts. Pure Substanz, Nahrung, Wohlgeschmack. Ein Wein, den es nicht mehr zu analysieren gilt. Ograde lässt sich nicht kategorisieren, in Worte fassen – nur trinken und schmecken, und dabei über die Weite des Meeres blicken.