Tanzen auf dem Vulkan

Sizilien ist bekannt für schwere und marmeladige Weine. Doch das Blatt hat sich gewendet: Ausgerechnet aus der Weinbauregion Etna, die immer im Schatten des Nordens gestanden hat, kommen nun elegante Gewächse, die plötzlich heiß begehrt sind. Der Ätna-Boom ist voll ausgebrochen …

Text von Christina Fieber Foto: Mauritius Images/Cubolmages

Feuerfontänen schießen bis zu 200 Meter in die Höhe und erhellen die pechschwarze Nacht Siziliens. Es regnet Gesteinsbrocken. Die Explosionen finden in Sekundenabständen statt und werden von lautem Grollen begleitet. Es sind eindrucksvolle und zugleich furchterregende Bilder: Die glühende Masse fließt zäh wie Wachs den Berg hinab. Das Spektakel zieht sich oft über mehrere Tage und Nächte, um dann jäh wieder abzubrechen.

Der Ätna ist mit einer Höhe von 3.300 Meter der größte und zugleich aktivste Vulkan Europas. In regelmäßigen Abständen bricht er aus, zuletzt im Juli dieses Jahres. Nur selten richtet er aber größere Schäden an, weshalb er von den Einwohnern liebevoll „Monjibeddu“, der schöne Berg, genannt wird. Die Menschen hier haben ihm auch viel zu verdanken. Nirgendwo sonst in Sizilien ist das Land so fruchtbar wie rund um den Ätna. Auf seinen Hängen werden Obst- und Olivenhaine gepflanzt, Orangen- und Mandelbäume so weit das Auge reicht. Und eben auch Wein. Bis auf über 1.000 Meter wurden die heute knorrigen Rebstöcke gepflanzt. Der Boden ist ein komplexes Gemisch aus verwitterter Lava und ­Sedimenten aus der Kreidezeit, reich an Mineralien. Ziemlich ideal für Wein. Umso erstaunlicher ist es, dass am Ätna zwar seit drei Jahrtausenden Weinbau betrieben wird, aber erst in letzter Zeit in herausragender Qualität. Lange Zeit belieferte man Betriebe aus dem ­Norden, die damit ihre Weine aufpeppten. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, erlangt die Region Etna Kultstatus. Kein Wunder: Die Weine sind ausdrucksstark und erstaunlich feingliedrig. Sommeliers aus ­aller Welt reißen sich inzwischen um die paar Flaschen vom sizilianischen Vulkan.
„Als ich hierherkam, hat niemand seinen Wein überhaupt in die Flasche gefüllt!“, erinnert sich Frank Cornelissen, ein Belgier, der sich den Ätna gezielt ausgesucht hatte, um hier Wein zu machen. Eben diese genialen Böden hätten ihn gereizt und die über hundert Jahre alten, wurzelechten Rebstöcke rund um den Vulkan, die vor der Reblausplage in Europa gepflanzt wurden und überlebten.

Vor mehr als zehn Jahren ist er als einer der Ersten hierhergekommen und hat begonnen, nach traditionellen Methoden, aber mit völlig anderen Qualitätsanforderungen Weine zu produzieren. Authentisch sollten sie sein, unverfälscht. Aus Rebsorten, die hier seit jeher angepflanzt werden, allen voran Nerello Mascalese, der derzeit als neuer Pinot noir oder Barolo gehandelt wird.

In seinem früheren Leben war Cornelissen Broker und handelte mit den teuersten Weinen der Welt: ­Mouton-Rothschild, Petrus, Romanée Conti und Co.

Irgendwann langweilten ihn die Edeltropfen – immer gleichförmiger und kommerzieller seien sie geworden.

„Ein typischer Bordeaux-Terroirausdruck existiert längst nicht mehr, er ist allmählich zu einer undefinierbaren internationalen Stilistik verkommen“, ­urteilt er trocken.

Überhaupt ist Frank Cornelissen ein unaufgeregter Mensch, entgegen seinem Ruf ausgesprochen freundlich und liebenswürdig. Er neigt nicht zu Tempera­mentsausbrüchen, was hier im Süden Italiens auffällt. Erst nach einiger Zeit wird er gesprächig. Richtig zur Hochform läuft er erst in den Weinbergen auf. Mit seiner drahtigen Statur schlüpft er unter jede Rebe, um überflüssige Blätter zu entfernen, buddelt im feinen, schwarz schimmernden Lavasand und klettert behände über steile Terrassen aus Vulkangestein. Im Hintergrund raucht es vom Gipfel des Ätna.

Die meisten seiner Reben sind in der traditionellen Albarella-Erziehung ausgepflanzt, die man fast nur mehr in Südeuropa findet. ­Knorrige, alte Bäumchen ohne Drahtgestell stehen scheinbar wild durcheinander. Sie sind nicht höher als einen halben Meter. In Wahrheit steckt ein ausgeklügeltes System dahinter, das die händische Lese erleichtern soll. Dazwischen wachsen Oliven, Mandelbäume, Gemüse, duftende Bergminze und wilder Fenchel.

Auch die Tatsache, dass am Ätna keine Monokultur betrieben wird, habe ihn damals veranlasst, sich hier mit seiner japanischen Frau eine neue Existenz aufzubauen. Steil und kurvig schlängelt sich die Straße zu dem abgelegenen Bergdorf Solicchiata. Immer wieder fordern Schilder dazu auf, im Winter Schneeketten anzulegen. Mitten in Sizilien.

Stolz zeigt Cornelissen jede einzelne seiner Lagen im Norden des Vulkans, manche liegen knapp 1.000 Meter hoch. Selbst im Juli wird es hier abends relativ frisch. „Das ist der Grund für die ausgeprägte Aromatik der Trauben vom Ätna“, sagt er, „die extremen Unterschiede zwischen Tag und Nacht!“ Seine Augen leuchten vor Begeisterung.

Überall in Sizilien herrscht im Sommer brütende Hitze, nur die Hänge des Ätna sind von gemäßigtem Kontinentalklima bestimmt. Die Kombination von vulkanischem Boden und speziellem Mikroklima macht das Terroir so einzigartig. In höheren Lagen sieht man schon mal Apfelbäume, Holunderbüsche und Föhren. Eine Flora wie in unseren Breiten.

Auch Marc de Grazia, ein findiger Weinhändler aus der Toskana, hat rasch das Potenzial der Region erkannt und sich hier eingekauft. Einer seiner Önologen betreibt das Weingut mit dem bezeichnenden Namen: „Tenuta delle Terre ­Nere“. Marc de Grazia ist kein Unbekannter in der Weinszene. In den frühen 1990er Jahren war er eine entscheidende Figur für den weltweiten Ruhm des Weinbaugebiets Piemont. De Grazia nahm damals etliche Weinmacher unter seine Fittiche und exportierte ihre Weine in die ganze Welt.

Die Region Etna scheint ihm dafür ebenso geeignet. Er animiert kleine Winzer, wieder hochwertige Weine unter ihrem eigenen Namen ­abzufüllen.

Mit der Zeit rochen auch renommierte sizilianische Weingüter den Braten und stampften Dependancen aus dem Vulkanboden: ­allen voran Planeta, Tasca d’Almerita und Benanti. Klingende Namen mit viel Kapital. Bislang produzierten sie höchst erfolgreich ­voluminöse Weine nach internationalem Vorbild und verhalfen der Insel so zu einem neuen Image in der Branche. Jetzt schicken sie ihre besten Önologen zum Ätna. Die Region erfährt damit weiteren Aufschwung.

Selbst der renommierte italienische Weinguide „Gambero Rosso“ ­verleiht in seiner neuen Ausgabe den Gewächsen vom Ätna Höchst­bewertungen.

Auch kleine Quereinsteiger reizt das Gebiet rund um den Vulkan: Giuseppe Russo ist eigentlich Pianist. Vor einigen Jahren hat er das Weingut seiner Eltern in Passopisciaro übernommen und es zu einem Bio­betrieb umgewandelt. Er produziert inzwischen vielbeachtete Weiß- und Rotweine aus autochthonen Rebsorten und wurde in Italien sogar schon zum Winzer des Jahres gewählt.

Alberto Graci wiederum war Banker in Mailand, bis ihn die Geld­geschäfte nicht mehr erfüllten und er in seine Heimat Catania zurückkehrte. Nun ist er beseelt von der Idee, authentischen Ätna-Wein zu ­produzieren. Die ältesten Rebstöcke wurden 1904 gepflanzt und liegen zum Teil auf einer Höhe von 1.100 Meter, der Anbaugrenze für Wein. Sein „Quota 1000“ ein reinsortiger Nerello Mascalese, zählt inzwischen zu den besten Rotweinen Italiens. Vergoren wird mit natürlichen Hefen in österreichischen Holzfässern.

Das Weingut „I Custodi delle Vigne dell’Etna“ hat sich ganz der Erhaltung des Naturschutzgebiets Etna verschrieben. Sein Weinberg „Vigna Nave“ befindet sich inmitten eines Eichenwaldes, in dem Nebrodi- Schweine nach Futter wühlen. Der Kellermeister Franco Foti ist eine wichtige Figur im sizilianischen Weinbau. Er begründete die Gruppe der „Vigneri“, die Weinmachern auf der ganzen Insel traditionelle ­Anbaumethoden vermitteln.

Selbst aus anderen Kontinenten finden Önologen den weiten Weg zum Ätna: Einer davon ist der junge Australier Sam Vinciullo, dessen Vorfahren einst von Sizilien nach Australien auswanderten. Er absolvierte bei Frank Cornelissen ein Praktikum und hat sich in die eigenwillige Weinregion verliebt. Letztes Jahr ist er zurückgekehrt, um hier selbst Wein zu machen. Sein erster Jahrgang, in einer Garage vinifiziert, ist durchaus vielversprechend.

Der Ätna ist aber auch eine Hochburg für sogenannte Naturweine geworden. Zumeist biologisch oder biodynamisch produziert, ohne Zusatzstoffe und möglichst ohne Eingriffe im Keller.

Frank Cornelissen ist sicher der radikalste Vertreter dieser Gruppe. Die Rebstöcke werden überhaupt nicht mehr behandelt, auch nicht mit Kompost oder bio­dynamischen Präparaten. „Unnötige menschliche ­Eingriffe“, wie er befindet, die nur in Ausnahmefällen zulässig seien.

Die Lese erfolgt so spät wie möglich, oft erst Mitte November, danach werden die Trauben in Tonamphoren vergoren, die bis zum Rand in Lava eingegraben sind: vier bis sieben Monate, in Ausnahmejahren auch schon mal doppelt so lange. Geschwefelt werden die Weine in keiner Phase der Produktion.

Freilich ist er sich des Risikos bewusst: Voraussetzung für die Haltbarkeit von schwefelfreien Weinen sei nicht nur gesundes, völlig unbehandeltes Trau­ben­material, sondern auch rigorose Hygiene bei der ­Verarbeitung: „Gegen meinen Keller sind Weinkeller im Bordeaux ein Pfadfinderlager!“, lacht er verschmitzt. Für Transport und Lagerung gibt er genaue ­Anleitungen. Der Aufwand lohnt sich. Die Lagencuvée „MunJebel“ aus autochthonen Trauben vom Ätna zeigt, wo es langgeht. Keine ­Primärfrucht, stattdessen Stein, Rauch- und Feuer-Aromen. Seine Weine sind allesamt offen, pur und ohne jegliche Maskierung. Nacktes Fleisch. Eine Direktheit, die manche überfordert, ja brüskiert. Kein Funken Gefälligkeit mehr. Aber sie ­haben auch ­etwas Zartes, Verwundbares. Einmal im Glas, verändern sie ihren Geschmack ständig. Der Topwein, ein reinsortiger Nerello Mascalese, trägt den Namen „Magma“. Magma ist die flüssige Gesteinsschmelze im Inneren des Vulkans, die zum Ausbruch führt. „Magma“ ist Cornelissens Verbeugung vor dem Ätna.

Dem Vorwurf, die einzelnen Flaschen würden sich zuweilen stark unterscheiden, begegnet er gelassen: „Was glauben Sie, wie groß die Schwankungen bei Petrus sind, das hab ich damals als Broker ständig erlebt.“
Die Unberechenbarkeit des Ätna, in dem es unentwegt brodelt, der immer wieder auszubrechen droht, diese Unberechenbarkeit spiegelt sich auch in den Weinen wider:
unverfälschter Terroirausdruck.

Frank Cornelissen scheint gerade das zu reizen. So sehr, dass er beschlossen hat, hier zu sterben. —

Frank Cornelissen
Via Nazionale 297
95012 Solicchiata (CT)
Etna-Sicilia
www.frankcornelissen.it
Bezugsquelle
www.rawselections.at

Azienda Agricola Graci
Contrada Arcuria
Passopisciaro
95012 Castiglione di Sicilia (CT)
Etna-Sicilia
Bezugsquelle
www.ars-vinum.com

Girolamo Russo
Via Regina Margherita 78
Locanda Passopisciaro
95012 Castiglione di Sicilia (CT)
Etna-Sicilia
www.girolamorusso.it
Bezugsquelle
www.baglioanticasicilia.com

I Custodi delle Vigne dell’Etna
Contrada Moganazzi
95012 Castiglione di Sicilia
Etna-Sicilia
www.icustodi.it
Bezugsquelle
www.vinaturel.de

Sam Vinciullo
sam@samvinciullo.com
Tenuta delle Terre Nere
Contrada Calderara
95036 Randazzo (CT)
Etna-Sicilia
Bezugsquelle
www.superiore.de