Tee vom Kaffee

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Der neueste Kaffee-Trend stellt das bisherige Werte-Gefüge der Espresso-Enthusiasten ein bisschen in Frage: Filter-Kaffee ist wieder am Vormarsch, diesmal allerdings edel, handwerklich und unendlich differenziert.

Text von Florian Holzer · Fotos von Julia Stix

Wie konnte das passieren? Wie konnte Filterkaffee, den wir erfolgreich in Vergessenheit geraten glaubten, auf einmal nicht nur wieder da, sondern sogar hipp, trendy und in New York das angesagte heiße Ding sein? Schonende Röstung, harmonische Mischung, mikrometergenaue Mahlung, exakte Dosierung und technisch präzise Zubereitung dank exakten Drucks, exakter Wassertemperatur und -menge, schmelzige Crema, der sinnliche Moment von drei Schlücken konzentrierter Kaffee-emulsion – soll das wirklich alles schon wieder vorbei, von gestern, ein Irrtum gewesen sein?

Nein. Und das neue Filterkaffee-Ding hat auch ziemlich gar nichts mit dem unsäglichen, getröpfelten Heißgetränk vergangener freudloser Zeiten zu tun. Es will sich nicht einmal „Filter-Kaffee“ nennen (obwohl es genau das ist), weil die Ablehnung damit unvermeidlich wäre, weiß Tobias Radinger, als Betreiber der Kaffeefabrik einer der Protagonisten der so genannten „Third Wave“, der dritten Kaffee-Welle, man versuche es einstweilen unter der Bezeichnung „Slow Coffee“. Was auch ganz gut passt.

Die Idee der „Third Wave“ stammt – ebenso wie der ganze Trend – aus den USA. Die graue Vorzeit des permanent erwärmten Durchlauf-Kaffees, der dort in Diners ja auch gegen den Durst oder als Begleitung zum Essen getrunken wird, war die erste Welle der Kaffee-Kolonialisierung der USA, die von Seattle ausgehende Espresso-Revolution und Etablierung des aromatisierten Milchkaffees die zweite. Und dann hatten ein paar Freaks in Oakland, Portland und San Francisco irgendwann einmal genug von heißer Milch mit Haselnussgeschmack und überlegten sich, wie sich Kaffee absolut pur genießen ließe, wie man die Unterschiede unterschiedlicher Herkünfte, unterschiedlicher Plantagen, ja sogar unterschiedlicher Hänge erkosten könne. „Das sind die Typen mit den Tattoos, die mit dem Fixie-Fahrrad in die Arbeit kommen“, erinnert sich Robert Gruber, derzeit einer der versiertesten „Brewer“ in Österreich, daran, als er diese Kaffee-Philosophie in Portland, Oregon kennenlernte.

Das analytische Potenzial des neuen Filterkaffees sei enorm, erklärt Gruber, die Idee rührt ja schließlich nicht vom Oma-Kaffee her, sondern vom so genannten „Cupping“, dem Schlürfen und Ausspucken von lauwarmem Brühkaffee, mit dem man seit jeher und überall in der Kaffeewelt die Qualität und das aromatische Potenzial von Kaffee-Chargen testet. Eine rätselhafte Wissenschaft, die selbst geübten Weinverkostern fremd bleibt. Um zum Trend zu werden, war es aber natürlich noch notwendig, ein Ritual zu inszenieren und einen Geräte-Kult zu lancieren. Mit Erfolg.

Betritt man etwa Robert Grubers bezauberndes Kaffee-Labor namens POC („people on caffeine“) in einem kleinen Anbau der Alserkirche in der Schlösselgasse, kann man sich natürlich einen Espresso geben lassen. Auch der ist zwar durchaus anders geartet als gewohnt, heller geröstet, mit fruchtigen Noten und hoher Säure, ein Espresso, wie in die neuen Brewer lieben – aber er ist rasch bestellt, gemacht, getrunken. Will man indes Grubers Spezialität, den Filterkaffee probieren, beginnt das mit einem Gespräch. Geklärt muss nämlich werden, welches Gerät zum Einsatz kommen soll, die unter Brewern sehr geschätzte „Chemex“-Glaskanne aus den USA, die Keramik-Filteraufsätze des kultigen Brewer-Ausstatters Hario, eine so genannte „Aeropress“, eine Weiterentwicklung der französischen Pressstempelkanne mit Filter, oder gar den spektakulären, raren und aufwändig zu bedienenden Syphon. Und dann muss natürlich auch noch geklärt werden, welcher Filter zur Anwendung kommt, feiner oder grober, Papier oder Metall, weiters müssen Mahlgrad und natürlich Herkunft des Kaffees festgelegt werden.

Und dann beginnt das Ritual. Der Brewer füllt exakt temperiertes Wasser in eine metallene Kanne, die ein bisschen an einen verworfenen Entwurf von Philippe Starck aus den 90ern erinnert, aber eben von Hario aus Japan ist, leider teuer und leider unvermeidlich, wie Tobias Radinger einräumt. Denn mit dem schmalen, langen Hahn dieser Kanne lässt sich das Wasser exakt im Filter verteilen – zuerst ohne Kaffee, um Papier-Aromen auszuwaschen, dann mit frisch gemahlenem Kaffeepulver. Und diese Verteilung des Wassers ist extrem wichtig, mit ihr, dem Mahlgrad und der Filterdichte reguliert man Durchflussgeschwindigkeit und Gleichmäßigkeit der Auslaugung, durch all diese Faktoren wird festgelegt, ob der Kaffee dann idealerweise vollaromatisch, fruchtig und zart, lasch oder überextrahiert ist. „Das Eingieß-ritual ist wie Yoga“, sagt Robert Gruber. Der Kaffee ist dann irgendwann einmal fertig, Gruber serviert ihn in Riedel-Tumblern der Serie „O“, „schließlich wäre es schade, einen so großen Aufwand zu betreiben, um die Aromen des Kaffees herauszukitzeln, und ihn dann in einem dickwandigen Häferl zu servieren. Das Ergebnis ist erstaunlich. Tatsächlich hat dieses Getränk, das da in einer Glaskanne am Tisch steht, mehr von schwarzem Tee als von Kaffee, je nach verwendetem Kaffee schmeckt man da Bergamotte, jodige Algen, Bouillon, Patchouli. Es ist faszinierend. Und es hört nicht auf, faszinierend zu sein, wenn man feststellt, wie sehr sich die Aromen, die Strukturen, der Ausdruck des Kaffees mit der Zeit verändern. Johannes Runge aus Hamburg, wo der neue Filter-Trend schon einigermaßen länger angekommen ist als in Österreich, Tobias Radingers zweiter Mann in der Kaffeefabrik, demonstriert das, indem er ein und den selben Kaffee parallel mit der Chemex-Kanne und der Aeropress zubereitet – fruchtig und zart der eine, herb und holzig der andere, vorerst, dann gewinnt der gepresste an Komplexität, legt zu … ein Déjà-vu, genauso verkosten und genießen wir Weine schon seit Jahrzehnten.

Wenn etwas so komplex ist, dann eignet es sich natürlich auch, es um die Wette zu machen. Bei Barista-Championships, wie etwa im März in Graz, oder den Weltmeisterschaften im Juni in Wien, wo unter anderem ein eigener Brewers Cup ausgetragen wurde. Dabei geht es dann darum, einen vorgegebenen Kaffee mit welcher Filtermethode auch immer möglichst gut zuzubereiten, ihn möglichst gut zu interpretieren, in einer zweiten Runde dann mit einem eigenen Kaffee anzutreten, ihn zu erklären und dann so zuzubereiten, dass er den Erklärungen gerecht wird.

Espresso und der neue Filterkaffee schließen einander jedenfalls überhaupt nicht aus, beruhigt Radinger, „wenn ich in der Früh ins Geschäft komme, weiß ich genau, wo ich zu Hause bin“. Aber dort, wo viel Zeit vorhanden ist, wo man lange mit Menschen sitzt, um sich zu unterhalten – über Kaffee oder auch nicht –, dort sei das „Sipping“ schon sehr okay. Und es ermögliche schon, die Ursprungskaffees, die Plantagen, die Böden ganz anders wahrzunehmen, meint der Kaffeefabrik-Macher, „es ist wie Musikhören mit einer wirklich guten Stereoanlage“.

In den Metropolen an den beiden Küsten der USA, in London, Tokio und vor allem auch in Skandinavien und den Benelux-Ländern hat der neue Filterkaffee in der Kaffeeszene längst gleichberechtigten Status neben dem Espresso. Ob das in Wien, Graz und Salzburg auch so sein wird? Abwarten und Kaffee, der wie Tee schmeckt, trinken.

POC „People On Caffeine“
Schlösslgasse 21, 1080 Wien
Mo.–Fr. 8–17 Uhr

Kaffeefabrik
Favoritenstraße 4–6, 1040 Wien
Tel.: 0660/569 88 60,
Mo.–Fr. 8–18 Uhr
www.kaffeefabrik.at