The Birds and the Bees and the Flowers and the Trees
Ausgerechnet in der verschlafenen Weinregion Côtes de Provence leistet sich der Luxuskonzern LVMH ein neues, visionäres Weinprojekt. Mit Biobewirtschaftung, Nachhaltigkeit und Artenerhalt katapultiert man sich zum Vorreiter in Sachen Umweltschutz und produziert so nebenbei einen interessanten Rosé.
Etwa eine Autostunde westlich von Nizza, der Küste entlang in Richtung Marseilles, vorbei an Cannes und Saint-Tropez, ist nicht mehr viel zu sehen vom Glamour und Jetset, den man mit der Côte d’Azur gemeinhin verbindet. La Londe-les-Maures ist ein tröges Zehntausend-Einwohner-Dorf im Hinterland der französischen Mittelmeerküste. Keine Luxusherbergen, keine überdimensionierten Yachten – nicht einmal ein Hafen. Nur Wälder und Weinberge. Hier in der Anbauregion Côtes de Provence liegt das Epizentrum der Rosé-Produktion. Fast zehn Prozent aller Rosés weltweit werden in der ältesten Appellation Frankreichs erzeugt. 90 Prozent aller Weine hier sind rosa.
In La Londe-les-Maures findet sich auch die neueste Errungenschaft des Luxuskonzerns LVMH, Moët Hennessy – Louis Vuitton, weltweiter Branchenführer in Sachen Luxusgüter. Dem börsennotierten Unternehmen gehören 75 Marken, neben bekannten Modelabels unterhält man auch eine illustre Wein- und Spiritsabteilung mit so klingenden Namen wie Dom Pérignon und Krug, Château Cheval Blanc sowie Château d’Yquem.
Château Galoupet, das neue Weingut, will da so gar nicht dazupassen. Roséweine von den Côtes de Provence haben weder den Appeal von Champagner noch das Renommee von Bordeaux. In Frankreich trinkt man sie im Sommer gerne gegen den Durst, überall sonst auf der Welt fristen sie ein Schattendasein. Große Rosé-Gewächse sind rar. Wäre da nicht das, zumindest in Society-Kreisen, gehypte Weingut Miraval von „Brangelina“, Brad Pitt und Angelina Jolie, gewesen, kaum jemand außerhalb Frankreichs hätte die Anbauregion je wahrgenommen.
Für den Luxuskonzern ist es dennoch oder gerade deswegen ein gelungener Coup: Im Windschatten berühmter Anbauregionen will man in den Côtes de Provence völlig neue Wege gehen. Erstmals wagt ein Weingut von Moët Hennessy biologische Bewirtschaftung. Was nach Greenwashing aussieht, entpuppt sich als engagiertes Projekt. Dafür sorgen schon die Protagonisten von Château Galoupet, allen voran Jessica Julmy als Managing Director. Die gebürtige Amerikanerin ist keine Frau für halbe Sachen und hochmotiviert. Spricht sie mit funkelnden Augen von sonst spröden Themen wie Biodiversität, Bodenbegrünung oder Nachhaltigkeit, hört man ihr gebannt zu. Für die aufgeweckte junge Frau ist das Weingut in Südfrankreich nicht nur ein Projekt, sondern eine Mission. Kein Marketinggag, sondern eine Vision – mit Hunderten Vorhaben und Ideen, die sie und ihr Team wild entschlossen umsetzen.
„Vielleicht irren wir auch komplett“, wirft sie ein, sieht dabei aber nicht so aus, als würde sie auch nur einen Moment an ihrem Vorhaben zweifeln.
Die Voraussetzungen sind gut. Zwar präsentierte sich das Weingut bei der Übernahme 2019 ziemlich heruntergekommen – die 69 Hektar Rebflächen mitgenommen von jahrzehntelangem Pestizideinsatz, der Boden tot. Die Vorbesitzer, wohlhabende Inder, feierten auf dem großzügigen Ansitz lieber Hochzeiten im Bollywood-Stil, als ihre Weingärten zu beackern. Aber Klima und Umgebung sind prädestiniert für biologische Bewirtschaftung, es ist mild, trocken und sonnig. Der in feuchten Regionen von Winzern so gefürchtete Falsche Mehltau (Peronospora), der ganze Ernten zunichtemachen kann, spielt in den Côtes de Provence kaum eine Rolle.
Man versuche gerade, dem Boden wieder neues Leben einzuhauchen, dafür brauche es eine ausgeklügelte Dauerbegrünung zwischen den Rebzeilen. Seit 2020 ist Galoupet in Umstellung auf Bio, allmählich rege sich wieder was über und unter der Erde. Aber es werde wohl noch Jahre dauern, glaubt Jessica Julmy: „Wir freuen uns wie kleine Kinder über jeden Regenwurm und jede Assel“, sagt sie und zeigt Fotos von für Laien unansehnlichem Erdgetier. „Marketingtechnisch kommen diese Bilder vermutlich nicht so gut an“, lacht sie und räumt die Fotos wieder in ihre Tasche.
Ein Ökoparadies. Der wirkliche Schatz von Château Galoupet liegt aber außerhalb der Weingärten: 77 Hektar Wald, ein Naturschutzgebiet und ein wildes Biotop mit Schirmkiefern, Erdbeerbäumen, Steineichen und jeder Menge Wildkräutern, gespickt mit violettem Schmetterlingslavendel. Im Hintergrund glitzert tiefblau das Mittelmeer. Ein pittoresker Anblick, aber auch ein Schlaraffenland für Säugetiere, Vögel und Insekten. Ein einzigartiges Ökosystem, das man bestmöglich erhalten, das man sich aber auch zunutze machen will. Und weil nichts dem Zufall überlassen werden soll, kooperiert man mit lokalen Wissenschaftern, vom Conservatoire d’Espaces Naturels (CEN) etwa, Spezialisten für Biodiversität, einem Vogelschutz-Bund oder dem Observatoire Français d’Apidologie (OFA). Alles wird vermessen, registriert und ausgewertet, das Klima, der Wind, das Wasser. Es gibt sogar eine Inventurliste jeder einzelnen Spezies, die auf dem riesigen Anwesen gesichtet wurde. Zwanzig verschiedene Fledermausarten habe man schon entdeckt.
Besondere Aufmerksamkeit wird den Bienen geschenkt – laut Experten das Herz jedes Ökosystems. 200 Bienenstöcke stehen inmitten des Naturschutzgebiets. Seit man im Weingut auf systemische Pestizide verzichtet und mit blühenden Pflanzen begrünt, kommen die Bienen sogar wieder in die Weingärten.
Träumt man in anderen Weingütern von Terroir-Weinen, will man auf Galoupet nichts weniger als „Terroir-Bienen“ züchten. Eine spezifische Art, die es nur hier geben soll. Dafür errichtete man eine Befruchtungsstation für Königsbienen, die als extrem heikel und anspruchsvoll gelten – eine von zwölf weltweit, erzählt man stolz. Neben der Förderung der Artenvielfalt verspricht man sich von Propolis, dem antibiotisch wirkenden Kittharz der Bienen, auch heilende Wirkung für beschädigte Rebstöcke, etwa nach einem Hagel. Aber das werde alles noch erforscht.
„Wir wollen Maßstäbe setzten“, sagt Julmy, „ein Zugpferd für die Region sein, aber auch eine Blaupause für Moët Hennessy. Wenn es bei uns klappt, folgen andere Weingüter vielleicht nach“, glaubt sie.
Ein Aufwand, der wohl nur aufgrund der wirtschaftlichen Ressourcen des Luxuskonzerns möglich ist. Das weiß man bei Galoupet, man sieht es als Verantwortung gegenüber der Region.
Rosé mit Tiefgang und Terroir. Das Team rund um die Amerikanerin, allen voran der Leiter des Weinteams Mathieu Meyer, erhofft sich von den wissenschaftlichen Projekten aber auch einen positiven Einfluss auf die Qualität der Weine. Ein intaktes Ökosystem mit vielen verschiedenen Arten unterstütze etwa die natürliche Schädlingsbekämpfung, die Belebung des Bodens durch Begrünung sorge für optimale Drainage und Nährstoffversorgung der Rebe. Ihre Wurzeln sind gezwungen, tief zu dringen, das gebe auch den Weinen Tiefgang und bilde das Terroir ab. Die ersten zwei Weine von Château Galoupet kamen heuer im Mai auf den Markt. Der Cru Classé Rosé und der Rosé Nomade – beide Jahrgang 2021.
Der Cru Classé ist eine Cuvée aus den in der Region üblichen Sorten Grenache, Bourbes, Tibouren, Rolle und Cinsault. Die Trauben kommen ausschließlich vom eigenen Weingut, nur dann darf sich ein Rosé aus den Côtes de Provence auch Cru Classé nennen. Jede Lage wird extra gelesen und vinifiziert, direkt gepresst und in neuen und gebrauchten 600-Liter-Holzfässern gereift. Bei der Direktpressung werden Trauben gequetscht und einige Zeit mit den Schalen eingemaischt, danach wird der Most abgepresst und wie Weißwein vergoren. Der Kontakt mit der Beerenhaut gibt dem Wein zarte Gerbstoffe und somit Substanz. Das ist teurer und aufwendiger als die weltweit verbreitete Méthode Saignée, auch bekannt als Saftabzug, quasi ein Nebenprodukt der Rotweinerzeugung. Die Trauben werden dabei im Keller durch ihr Gewicht gequetscht, ein Teil des Saftes rinnt ab und wird vergoren – praktischerweise konzentriert man damit auch gleich den restlichen Rotwein.
Entsprechend strukturiert zeigt sich dann auch der Cru Classé von Galoupet. Kein rosarotes Spaßgetränk, sondern ein ernst zu nehmender Wein. Geprägt von salzigen Mittelmeerbrisen und den wilden Kräutern des Hinterlands – Salz, Sonne und ein Hauch Kühle, die ihm der harsche Nordwind Mistral schenkt. Vielleicht hätte ihm eine Spur Unbeschwertheit gut getan, aber 2021 war in der Provence ein schwieriges Jahr, man merkt dem Wein die Anstrengung an.
Von der sonst für Rosé üblichen durchsichtigen Flasche hat man sich bei Galoupet verabschiedet. Denn Bio und Artenvielfalt allein reichen Jessica Julmy nicht, es brauche auch Nachhaltigkeit. Die bernsteinfarbene Flasche besteht mehrheitlich aus recyceltem Glas. Mangelnde Konsequenz kann man dem Galoupet-Team nicht vorwerfen.
Noch einen Zacken vorbildlicher in Sachen Umweltschutz präsentiert sich dann die Verpackung des Nomade 2021. Was aussieht wie eine Retro-Shampooflasche aus den 1970er-Jahren, ist der Zweitwein von Château Galoupet. Das Behältnis ist flach und komplett aus Plastik – aus dem Ozean recyceltes Plastik freilich. Mit Luxus und Fine-Wine-Attituden hat die schnöde Verpackung eher weniger zu tun, dafür erregt sie in jedem Fall Aufsehen. Und für lange Lagerung ist der „Easy drinking“-Rosé ohnehin nicht gedacht. Man mag Jessica Julmy und ihr Team als Weltverbesserer belächeln, eine Träumerin ist sie sicher nicht, vielmehr eine ehrgeizige Visionärin mit Hang zur Musterschülerin. Die „Fridays for Future“-Generation ist gewiss entzückt von der kuriosen Weinflasche aus Ozeanplastik. Jessica nennt das Projekt Galoupet gerne „Change of Mindset“, ein Paradigmenwechsel im Denken und Handeln – wohl auch
für den bedeutendsten Luxuskonzern der Welt. —
Château Galoupet
chateaugaloupet.com
Galoupet Nomade 2021 ist demnächst im Handel erhältlich.
Château Galoupet Cru Classé Rosé 2021 in Wien bei Pöhl am Naschmarkt und in der Vinothek St. Stephan