Tu das Unmögliche

Der Atzberg in Spitz war die vielleicht letzte Möglichkeit, ein großes neues Weinprojekt in der Wachau zu realisieren.

Text von Christian Grünwald Fotos von Regina Hügli

Franz-Josef Gritsch liebt exponierte Lagen. Im Portfolio des seit sieben Generationen im Familienbesitz befindlichen Mauritiushofes gibt es auch den Riesling aus dem Dürnsteiner Burgweingarten. Die extrem steilen Terrassen sind nicht über eine Straße, sondern nur über einen schmalen Fußweg erreichbar, und befinden sich innerhalb der historischen Befestigungsanlage oberhalb vom Schloss. In den nach Süden ausgerichteten Urgesteinsterrassen ist vor allem Handarbeit gefragt. Größere Maschinen haben hier einfach keinen Platz. Eine mühevolle Arbeit, die letztlich aber doch lohnt: mit einem wunderbar würzigen Riesling, der vor allem durch seine exotischen Steinfruchtaromen bezaubert. Klassischer Wachau-Typ eben.

Im Burgenland fahren die Winzer mit dem SUV schnell einmal in eine der Rebzeilen, um nachzusehen, wie es so um die Vegetation steht. Wachauer Winzer hingegen steigen für diesen Zweck in ein wirklich geländegängiges Automobil ohne pfeffrigen Namen oder gehen lieber gleich zu Fuß. Angesichts der Steillagen und der schmalen Terrassen, die Autos und Maschinen oft gänzlich ausschließen, wirken Weinbauern hier wie eine Kreuzung aus Sherpa und Gemse.

Megasteil, mit einer Hangneigung bis zu 70 Prozent, dazu karg, verwildert und verfallen präsentierte sich seit Jahrzehnten die Lage Atzberg in Spitz. Rechts vom Singerriedel, wohl einer der bekanntesten Spitzenlagen der Wachau, gelegen.

Der legendäre Weinpfarrer Hans Denk erwähnte immer wieder bei verschiedenen Anlässen, wie schade es sei, dass der Atzberg mit seiner steilen Süd-Südwest-Lage so unbewirtschaftet vor sich hinsiecht. Wegen der beschwerlichen Bearbeitung der steilen Rieden wurde der Weinbau dort in den 1950er Jahren aufgegeben. Hochwürden vermutete dort einen Wein, den er mit seinem Lieblingssuperlativ „mozartäisch“ belegen würde.

Obwohl Platz und guter Boden in der Wachau ein äußerst limitiertes Gut sind, wollte sich kein Winzer eine Rekultivierung antun. Zu arbeitsaufwendig, zu mühsam, zu unwirtschaftlich argumentierten auch jene Wissenden, denen das Potenzial der Lage bekannt war. Franz-Josef Gritsch traute sich allein nicht über das Projekt, war aber davon so angetan, dass er mit Partnern gerne starten wollte. Als Hans Denk eines Tages Multi-Unternehmer Hans Schmid von der Idee erzählte, kam Bewegung in die Sache. Als damals frischgebackener Wiener Winzer (Rotes Haus und Mayer am Pfarrplatz) hatte der A la Carte-Herausgeber Lust auf mehr. Und ganz ehrlich, wer will nicht ein Weinprojekt in einer der schönsten Weinbauregionen der Welt – der Wachau … Mit dem Immobilien-entwickler Robert Wutzl, einst auch Vorstandsmitglied bei Schlumberger, war das unternehmerische Trio perfekt und auch die Arbeitsaufteilung klar: Wutzl kümmert sich um die Rekultivierung des Areals und den Aufbau der Marke sowie die betriebswirtschaftlichen Planungen, Gritsch um den Wein selbst.

Weite Teile der Anbaufläche waren von Buschwerk überwachsen, zum Teil wurzelten Bäume schon wieder recht tief. Es galt also zuerst den Boden neu aufzuarbeiten, sämtliche Verwachsungen zu entfernen. „Man hat ja zum Teil gar nicht mehr die Terrassen gesehen“, erinnert sich Gritsch. Diese waren aber zum größten Teil ohnehin verfallen und mussten nun neu aufgebaut beziehungswiese ausgebessert werden.

Der Umstand, dass nur mehr wenige Maurer das Handwerk des Weinterrassenbaus beherrschen, wurde in A la Carte schon oft beschrieben. Es hat sich nichts geändert: Die Komplexität der Steinschichtungen mit schöner Optik, Stabilität und nötiger Wasserdurchlässigkeit zugleich auszustatten, ist anspruchsvoll und wird nur von wenigen Maurern zufriedenstellend erledigt. Neben Professionisten beteiligten sich bei den Ausbesserungen auch enthusiastische Freunde aus dem Bekanntenkreis.

Teilweise sind die Terrassenmauern zweieinhalb Meter hoch.

10 Hektar groß ist das Atzberg-Areal, wobei realistisch 4 Hektar Rebfläche realisierbar sind, 2 Hektar sind derzeit ausgepflanzt. Die frischen Grüner-Veltliner-Setzlinge wurden 2008 ausgepflanzt, derzeit gibt es den dritten Atzberg-Jahrgang in der Flasche.

Die Familie Gritsch besitzt schon lange am unteren Teil des Singer-riedel einen Weingarten mit Veltliner. In den besten Terrassenteilen der Riede sorgt ein Terroir aus Paragneis, Glimmerschiefer und silikatreicher Braunerde für ungemein brillante Weine – man denke nur an die exzeptionellen Rieslinge von Franz Hirtzberger.

Früher dürften der Atzberg und der Singerriedel eine geologische Einheit gebildet haben, bevor der Mieslingbach die beiden trennte. Es findet sich dort erzhaltiges rotes Gestein, das den Weinen eine ganz spezielle Mineralität verleiht.

Bereits 1328 wurde in einer Urkunde der „Ärzberg“ als Weinbauriede erwähnt. Man würde also heute „Erzberg“ zum Atzberg sagen, was auf den roten erzhältigen Gneis- und Schieferboden zurückzuführen ist. Die Richtigkeit der schriftlichen Eintragung aus dem 14. Jahrhundert wird auch durch die Bodenanalysen unterstützt: „Wir haben enorm hohe Kupferwerte festgestellt – ein Beweis für die damals üblichen Methoden gegen Krankheiten im Weingarten“, erzählt Gritsch.

Der Boden ist ungemein karg, auf dem Gestein findet sich nur eine dünne Humusauflage. In Normalfall beginnt die Erntearbeit am Atzberg Anfang Oktober. Alles wird von Hand gelesen und mit der Rübenbutte ins Tal getragen. Die Trauben werden in mehreren Durchgängen direkt am Stock selektioniert. Die ersten Tranchen finden in den klassischen Steilterrassenwein Eingang.

Die schönen lockerbeerigen Trauben bleiben bei gutem Wetter noch zwei bis drei Wochen länger am Stock und ergeben dann den Oberen Steilterrassenwein, der im großen Holzfass aus Pfälzer Eiche reifen darf. „Das Holz ist nicht getoastet und schon einmal benutzt. So bekommt der Wein einen eleganten Körper ohne jeden Vanilleanklang wie man es von anderen Barriques kennt.“

„Fruity full bodied“ könnte also in einer internationalen Verkostungsnotiz stehen, wenn es darum geht den „Obere Steilterrassen“ mit seiner komplexen würzigen Nase, samt Melonen-, Kumquat- und Quittentönen zu beschreiben. Mit einem philosophischeren Zugang würde man auch das Prädikat „Wachauer Seele“ vergeben – die nicht enden wollende Veltlinerwürze und vor allem das schieferige Terroir ergeben einen Wein, der noch viele Jahre Freude bereiten wird.

Die Trauben aus dem ersten Erntedurchgang werden mehrheitlich für den Steilterrassenwein, zu erkennen am weißen Etikett, verwendet und im Stahltank ausgebaut. Der 2014er wurde im neuen A la Carte-Weinguide mit 92 Punkten bewertet. 2 Punkte mehr erhielt der „Obere Steilterrassen“, der nicht nur die noch reiferen Trauben aus den absoluten Vorzugsplätzen, sondern auch ein goldenes Etikett und eine ausführlichere Vinifizierung erhält: Lange Maischestandzeit für die Aromatik und nach der Vergärung eine lange Reifung im großen Holzfass. Das verleiht den Weinen Struktur, Komplexität und Geschmeidigkeit. Etwa ein halbes Jahr liegt der Wein bislang auf der Feinhefe. „Mit dem nächsten Jahrgang werden wir das auf ein Jahr ausdehnen.“

Neben der Kellerarbeit ist der Wein vom Atzberg auch eine Herausforderung in Sachen Arbeitslogistik und körperlicher Kondition. Schnell im Weingarten vorbeifahren ist nicht. „Man überlegt sich ganz genau, was man alles mitnimmt und machen möchte, wenn man dort in den Weingarten geht. Weil alles, was du vergisst, ärgert dich doppelt und dreifach und du spürst es in den Beinen. Aber ich mag diese Herausforderung, die damit einhergehende Planung.“

In der heißen Zeit muss Gritsch täglich in die Terrassen, um die in einzelnen Sektoren geschaltete Bewässerung zu bedienen. Selbst das ist hier oben eben Handarbeit. Anfangs gab es am Atzberg keine eigene Bewässerungsanlage. „Wir mussten damals gefüllte Wasserkübel mühsam hinaufschaffen, um die neu gepflanzten Setzlinge ausreichend zu versorgen.“ Ohne Bewässerung wäre in dieser exponierten Lage vernünftiger Weinbau gar nicht möglich.

Das kleine Salettl am Atzberg ist ein in den Felsen gehauener Idealplatz für Verkostungen in der kleinen Runde. Abends ist das Salettl beleuchtet und so eine kleine weitere Attraktion im Landschaftsbild der seit dem Jahr 2000 zum Weltkulturerbe ernannten Region.

Erweiterungen und Rekultivierungen wie jene am Atzberg sind in der Wachau kaum noch machbar. Vor allem am anderen, deutlich schattigeren Donauufer gäbe es noch mögliche Flächen. „Aber für mich ist das kein Thema, die Wegstrecke dorthin ist eine kleine Weltreise. Da müsste ich mit meinem Zeug jedesmal entweder mit der Rollfähre rüber oder gar den Bogen über die Melker Brücke fahren.“ Die Wachauer Seele ist eben flächenmäßig limitiert – und das ist gar nicht mal so schlecht für die Klarheit der Botschaft.

Kirchenplatz 13
3620 Spitz an der Donau,
Tel.: +43/2713/24 50
www.atzberg.at