Über dem Himmel und unter der Erde

Andreas Tscheppe produziert seine Weine auf besondere Weise: Er vergräbt die Weinfässer tief in der Erde. In Österreich ist er mit dieser Methode bislang der einzige Winzer. Er sorgt damit international für Furore und zugleich für hitzige Diskussionen über die Frage, ob derartige Weine nach klassischer Auffassung nicht auch einfach als fehlerhaft bezeichnet werden können.

Text von Christina Fieber Foto: Peter M. Mayer
Der Hirschkäfer ist ein bizarres Insekt. Mit seinem mächtigen Geweih zählt er zu den größten und auffälligsten Käfern Europas. Dabei bekommt man ihn kaum zu Gesicht, verbringt er doch die meiste Zeit seines Lebens unter der Erde.
Nach der Paarung vergräbt das Weibchen ihre Eier bis zu 50 cm tief in den Boden. Aus den Eiern schlüpfen madenartige Larven, die noch drei bis acht lange Jahre unter der Erde bleiben. Danach verpuppen sie sich, um im Herbst darauf endlich zu Käfern zu werden. Immer noch verspüren sie nicht die geringste Lust auf das Getummel über der Erde. Weitere neun Monate genießen sie die unterirdische Ruhe. Erst im Juni erblicken sie erstmals in ihrem Leben Tageslicht, um nach nur wenigen Wochen das Zeitliche zu segnen. Gerade noch Zeit genug, um sich fortzupflanzen.
Andreas Tscheppe ist fasziniert von dem seltsamen Tier und seinem unterirdischen Dasein. Der Winzer selbst ist ein ruhiger Mensch, dem das Leben über der Erde oft Mühe zu kosten scheint. Ein Träumer, ein Visionär; der Rastlosigkeit des Alltags kann er nichts abgewinnen. Die Ruhe unter der Erde, hat er sich überlegt, müsste doch auch den Weinen gut tun: „Kein Lärm, kein Licht oder Elektrosmog, nichts, was ihre Entwicklung stören könnte“, die hellblauen Augen des jungen Winzers leuchten vor Begeisterung.
So kam er auf die Idee, nach der Vergärung des Weines das Holzfass samt Inhalt tief in der Erde zu vergraben. Eine ziemlich aufwendige Prozedur. Mit einem Bagger wird das Fass in ein tiefes Erdloch gehievt und wieder zugeschüttet. Den ganzen Winter über bleibt es unter der Erde, um im Frühjahr wieder mühselig ausgehoben zu werden. Der ganze Aufwand, nur um den werdenden Wein keinen störenden Umwelteinflüssen auszuliefern?
„Im Winter zieht sich die Energie der Natur in die Erde zurück, auch davon profitiert der Wein“, ist Andreas Tscheppe überzeugt, „er gewinnt an Lebendigkeit, und das im Schlaf!“
Als Biodynamiker betrachtet er die Entwicklungsprozesse in Zyklen von Werden und Vergehen, die es in der Weinwirtschaft zu nützen gilt.
„Es genügt nicht, keine Gifte zu spritzen, das ist erst der Beginn“, sinniert er, „das ganze System unterliegt dem Kreislauf der Natur.“
Was wie ein Marketinggag klingt, ist ein mühsames Unterfangen mit vollem persönlichen Einsatz. Das große Geld ist damit nicht zu machen. Viel mehr ist es eine Besessenheit, der unbedingte Wille authentischen Wein zu machen.
2004 hat er das erste Weinfass vergraben. Damit war er der erste Winzer hierzulande, der Wein unter der Erde reifen ließ. Erst in den darauf folgenden Jahren experimentierten seine steirischen Kollegen mit dem Vergraben von Amphoren.
Damals arbeitete er noch für das Weingut Riegersburg. Als der Pachtvertrag auslief, konnte er vier Hektar im südsteirischen Glanz erwerben; nahe dem elterlichen Weinbaubetrieb, den jetzt der Bruder bewirtschaftet. Es ist ein idyllisches Fleckchen Land. Hoch über dem südsteirischen Hügelland blickt man bis nach Slowenien. Die Sonne dringt durch den Nebel und wirft ein magisches Licht über die Weinberge. Ein Ausblick, der einem den Atem raubt. Am höchsten Punkt ist an zwei Bäumen eine Hängematte befestigt, mit der man scheinbar im Himmel schwebt.
Ein Gefühl, das sich beim Verkosten der Weine fortsetzt. Ein Chardonnay, der so feinnervig, zitronig und gleichzeitig cremig ist wie seine großen Schwestern im Burgund. Er duftet nach ofenwarmem Biskuit und sizilianischen Zesten. 18 Monate ist er im 600 Liter großen Holz gelegen, bei minimaler Schwefelung. Kein Morillon, sondern ein Chardonnay.
Zudem produziert er zwei sehr unterschiedliche Sauvignon: einen feinen mit lebendiger Säure und einen mit mehr Extrakt aus höheren, steinigeren Lagen. Dicht, druckvoll, mineralisch, von hinreißender Dezenz. Mit jeder Minute im Glas kommen neue Aromen dazu, nur zart, nie laut. Ein Sauvignon für Nicht-Sauvignon-Trinker, die von den vordergründigen, derben Noten der Rebsorte die Nase voll haben. Eine Nacht ist er auf der Maische gelegen, mit natürlichen Hefen vergoren, um ihm diese komplexe Stilistik zu verleihen. Sauvignon pur.
Die Prüfnummer hat er dafür nicht bekommen, wie auch all seine anderen Weine nicht. Zu ungewohnt, zu natürlich schmecken sie. Steirerland als Herkunftsbezeichnung, mehr darf er nicht auf die Etikette schreiben. Prädikat: Landwein aus Österreich. Ein Sauvignon, der besonders deutlich seine Lage widerspiegelt, völlig unverschnörkelt. „Daran hab ich mich schon gewöhnt“, er lächelt verschmitzt, „aber meine Weine sind ohnehin unverkennbar!“
Nicht nur geschmacklich, auch optisch haben Tscheppes Weine einen hohen Wiedererkennungswert, prangt doch auf jeder Flasche ein Insekt. Der Inhaber einer renommierten Werbeagentur (Demner, Merlicek & Bergmann) habe sie für ihn gestaltet, weil er so begeistert von den Weinen war, erzählt der Winzer nicht ohne Stolz. Und so kennt man den Chardonnay als Salamander und die beiden Sauvignons sind eine blaue und eine grüne Libelle. Der Goldmuskateller wiederum ist ein Schmetterling: Was für ein bezauberndes Wesen.
Ja, und dann kommt der Hirschkäfer. Ein besonders prachtvolles Exemplar prangt auf dem Etikett. „lucanus cervus … glänzt als Nützling“, steht unter dem Käfer. Der Hirschkäfer ist natürlich der Erdfasswein. Wie dieser kommt er aus dem Inneren der Erde. Wie dieser liebt er die dunkle Kühle und die unendliche Ruhe, die dort unten herrschen. Das merkt man ihm auch an. Völlig unaufgeregt, im Gleichgewicht, bei sich. Im Körper entfaltet er seine ganze Energie, die er über den Winter unter der Erde gesammelt hat. Ein Wein, der schmeckt und wirkt. Ein Gefühl von Ruhe und Glück breitet sich aus. Berauschend gut. So soll Sauvignon schmecken.
Drei Wochen hat dieser Wein auf der Maische gelegen, ist wie Rotwein mit den Schalen vergoren worden. „Orange Wines“ nennen sich diese Weine, weil sie aufgrund des Schalenkontakts eine dunkelgelbe, oft orange Färbung aufweisen. Neben der intensiven Farbe haben sie eine für Weißweine ungewöhnliche Tanninstruktur, die sie besonders widerstandsfähig macht. Daher können die Weine auch mit einer geringen Schwefelmenge auskommen.
Eine kleine Gruppe von biodynamischen Winzern unter dem Namen „Schmecke das Leben“, zu denen auch Andreas Tscheppe gehört, hat sich dabei international einen Namen gemacht. In London, Kopenhagen oder New York findet man sie auf den Weinkarten der trendigsten Gourmettempel. In Österreich trauen sich das nur wenige Sommeliers. Orange Wines verzichten auf vordergründige Aromen, sie sind keine Fruchtbomben oder Barockorgien. Das macht es vielen schwer, sie zu verstehen. Zu sehr sind unsere Nasen und Zungen auf grelle Geschmackstöne konditioniert.
In einschlägigen Internetforen und Weinblogs werden hitzige Diskussionen geführt, die nicht selten fundamentalistische Züge tragen. Gegner kritisieren die neuen Weine als Modeerscheinung, die fehlerhafte Töne aufweisen oder geschmacklich austauschbar seien. Befürworter bemäkeln wiederum die Borniertheit der Skeptiker. Dabei werden viele Dinge verwechselt: Biodynamische Weine sind nicht gleich maischevergorene Weine. Orange Wines müssen nicht zwangsweise ­ohne Schwefel gemacht sein, auch wenn sie sich gut dafür eignen, und „Natural Wines“ sind schwefelarme, meist biologische Weine.
„Schlechte Weine kommen überall vor, unabhängig von biologischer oder konventioneller Bewirtschaftung“, meint Christian Zach, Sommelier im „Kreuzwirt am Pössnitzberg“ in Leutschach, der als einer der Wenigen ein großes Sortiment an Orange Wines auf seiner Karte hat. Die Beurteilung eines Weins sei subjektiv, daher auch eine attestierte Fehlerhaftigkeit, ist Zach überzeugt. Nicht alles, was außerhalb der Norm schmecke, müsse zwangsläufig kaputt sein.
Die oft kritisierte Gleichförmigkeit von Orange Wines relativiert sich mit der Erfahrung. Lässt man sich auf neue Geruchs- und Geschmacks­aromen ein, schmecken sie bei vergleichenden Verkostungen äußerst differenziert. Sie sind stark von Böden und Weinmachern geprägt. Charaktere eben.
Jedem Tier sein Plaisir: Die einen leben lieber auf der Erde, die anderen, wie der Hirschkäfer, zieht es ins Reich darunter – im Fall des „Hirschkäfer“-Weins jedenfalls braucht man nicht lange über Geschmack streiten: Er wird ohnehin so selten gesichtet wie sein Namensgeber, der in unseren Breiten praktisch ausgestorben ist.
BEZUGSQUELLEN
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kreuzwirt@poessnitzberg.at
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