Und jetzt die Kirschen
Kaffee besteht nicht nur aus der Bohne, um sie herum hat die Natur auch noch Fruchtfleisch und Schale gepackt. Die gingen früher tonnenweise in den Kompost, nun werden sie genießbar gemacht.
Text von Florian Holzer Foto von Stockfood/Peter Gross
Die Produktentwickler in der Kosmetikindustrie sind immer die Ersten. Denn die Kosmetik braucht Neuigkeiten, braucht Sensationen, braucht Wundermittel, weshalb ständig in irgendwelchen Abfallprodukten der Kakao-, Wein-, Bier- oder Ölerzeugung wertvolle Anthocyane, Polyphenole, Antioxidantien, Vitamine, Enzyme und Eiweiße entdeckt werden. Die man sich dann hundertprozentig natürlich und um hundert Euro für fünfzig Gramm ins Gesicht schmieren kann.
Die Kaffeekirsche wurde natürlich auch schon zu diesem Zweck erforscht: Das Abfallprodukt, das entweder im Zuge der nassen Aufbereitung per „Pulper“ vom Kern der Kaffeekirsche, der Bohne, entfernt oder im trockenen Aufbereitungsprozess von der Bohne geschält wird, ging bisher in erster Linie in die Kompostierung, verrottete zu natürlichem und billigem Dünger. Allerdings weiß die Kosmetikindustrie eben auch von Anti-Aging-Nährstoffen, hydratisierter Hyaluronsäure, Vitamin B und wertvollen Antioxidantien im Fruchtfleisch und den Schalen der Kaffeekirschen – 21.000 Treffer bei Google und 300 Euro pro 100 ml …
Tatsächlich ist die „cáscara“, also Fruchtfleisch und Schale der Kaffeekirsche, natürlich ein absolut bedeutender Rohstoff, der eine Nutzung abseits der Bodendüngung durchaus rechtfertigt, zumindest wenn es sich um biologisch bewirtschaftete Kaffeepflanzen handelt. Denn die Kaffeekirsche besteht nicht nur zu etwa 30 % aus Frucht und Schale, sie enthält neben vermeintlicher Hyaluronsäure und anderen fabulösen Inhaltsstoffen auch Zutaten, die sie sehr viel unmittelbarer nutzbar machen – und zwar kulinarisch: Kaffeekirschen enthalten nämlich Zucker und nicht gerade wenig Koffein.
In Bolivien und Panama, so kursiert nach Erscheinen eines deutschen Artikels vor zwei Jahren das Gerücht, hätten die Campesinos aus den getrockneten Schalen der Kaffeekirschen immer schon eine Art koffeinhaltigen Aufguss gemacht, weil ihnen der Kaffee aus gerösteten Bohnen zu teuer gewesen sei. Auch im Jemen hätte so ein Getränk lange Tradition, behauptet zumindest das unendliche Universum des Internets, dort verarbeite man den Sud der getrockneten Kaffeekirschen angeblich mit Gewürzen zu einer Art Chai, der dann den Namen „Quishar“ trage. Ob das nun wahr oder gut erfunden ist, ist egal, eine gute Geschichte bleibt es allemal. Vor allem als Hintergrund für die diversen Cascara-Tees, die sich seit etwa drei Jahren epidemisch unter den Roasteries, Brew-Bars, Baristarias, 3rd-Wave-Coffeeshops und anderen Veranstaltungsorten hipper Kaffeekultur in London, Berlin, New York, Tokio und Stockholm verbreiten.
Cascara-Tee? Ja, die getrockneten Kaffeekirschen werden mit kochendem Wasser aufgegossen und fünf bis sieben Minuten ziehen gelassen. Das Ergebnis ist ein Tee, der farblich und vom Duft her ein bisschen an schwächeren Hagebutten-Tee erinnert, mit angenehm fruchtig-herbem Aroma und vor allem einem Koffeingehalt, der sich gewaschen hat. Konkret fährt dieser Tee ein, wie man’s von Kaffee schon lange nicht mehr gewöhnt ist.
Angeboten wird dieses Produkt seit etwa zwei Jahren von vielen hippen Kleinröstereien, gerne auch reinsortig oder mit Herkunftsregion versehen. Square Mile Coffee Roasters aus East London, quasi ein Säulenheiliger der 3rd-Wave-Bewegung und augenblicklich wahrscheinlich eine der besten Avantgarde-Röstereien der Welt, zählte zu den Ersten, die dieses Produkt anboten. Ihr Cascara kommt von einer biologisch arbeitenden Kooperative in der Region Tarrazú in Costa Rica und ist quasi ein Nebenprodukt der Trockenaufbereitung der dortigen Typica-Bohnen: Die Kirschen werden samt Bohnen in der Sonne getrocknet, bis der Feuchtigkeitsgehalt stimmt, dann werden die trockenen Früchte „geknackt“, die Bohnen weiterverarbeitet, die Schalen für Cascara gesammelt. Durch den langen Kontakt von Bohne und Fruchtfleisch gewinnen nicht nur die Kaffeebohnen an Komplexität, auch den Schalen tut das gut, meint James Hoffmann, Mitgründer von Square Mile. In seinem (hervorragenden) Buch The World Atlas of Coffee beschreibt er das Fruchtfleisch der Kaffeekirsche als überraschend köstlich, mit einer an Honigtau und Melonen erinnernden Süße und leicht erfrischenden Säure – Aromen, die beim Square Mile-Cascara durchaus nachvollziehbar sind.
Die hippe Berliner Kaffeerösterei am Kurfürstendamm wählte für ihren Cascara getrocknetes Fruchtfleisch der Sorte Pacamara, deren Zuckergehalt um bis zu 20 % höher liegt als der normaler Arabica-Varitäten; Johanna (Die Rösterin) Wechselberger aus Stockerau bezieht ihre getrockneten Kaffeekirschen unter anderem von der Finca Nombre de Dios aus El Salvador, Karina und Daniel Fasch von der sehr jungen und ebenso ambitionierten Rösterei alpha am Wienerwaldsee bieten gar getrocknetes Fruchtfleisch von Geisha-Bohnen aus Panama an.
Und wo Koffein und Zucker, da ist natürlich auch der Energydrink nicht weit. Armin Machhörndl, Kaffeeröster und Betreiber einer Brew-Bar in Nürnberg, kam vor fünf Jahren zum ersten Mal mit Cascara in Kontakt, dachte ein bisschen darüber nach und machte Anfang des Jahres einen Drink namens „Wilde Ziege“ daraus – Ziege deshalb, weil ja die Legende besagt, dass ein äthiopischer Hirte bemerkte, wie springfidel seine Ziegen waren, nachdem sie wilde Kaffeekirschen gefressen hatten … Auch in Berlin kreierte ein Start-up-Team ein solches Produkt, nannte es „Selosoda“ und stellte den Nachhaltigkeits-Aspekt in den Vordergrund. Wie übrigens auch Machhörndl, der seine „Wilde Ziege“ als „typisch upcycled“ bezeichnet.
Machhörndl mischt den Aufguss seiner getrockneten Kaffeekirschen aus Bolivien mit Agavendicksaft und Zitronensaft, versetzt das Ganze mit Kohlensäure, und am Ende ist es eine Art naturtrüber Eistee mit leichtem Fermentgeschmack, etwas malzigem Aroma von der Agave, recht wenig Zucker und hat mit 66 mg / 0,33 l den Koffeingehalt eines guten Espresso nach Definition des Istituto Nazionale Espresso Italiano. Die zweite Abfüllung war jedenfalls schon dreimal so umfangreich wie die erste, 700 Kisten, Ende März wurde zum dritten Mal abgefüllt, die „Wilde Ziege“ geht weg wie warmer Cappuccino.
Und dann ist da Ulrich Salamun. Ulrich Salamun ist Österreicher, der bis vor geraumer Zeit Teil des prominenten Synchronisations-Kabaretts Maschek war und dann beschloss, sich gänzlich seiner zweiten Leidenschaft zu widmen, dem nicaraguanischen Kaffee aus der Region Jinotega. Und als Österreicher hat man angesichts von zuckerhaltigen Früchten halt so seine ganz eigenen Ideen, die jetzt nicht so sehr in Richtung, Fruchtsaft, Tee oder Energy-Drink gehen – sondern Schnaps.
Natürlich produziere er mit seinen Partnern, vornehmlich Kleinbauern und kleinbäuerliche Kooperativen im Nebelwald nördlich von Matagalpa, auch schon Bio-Cascara, der nächstes Jahr am Markt lanciert werden soll. Problem dabei sei aber immer wieder die rasch einsetzende Gärung während der Trocknung. Genau die will sich Salamun jetzt zunutze machen; eine Brennerei sei jedenfalls schon bestellt, schreibt er, und komme im Herbst per Container nach Nicaragua. Das Brennen hätte er in Österreich bereits gelernt und auch schon Gelegenheit gehabt, das Erlernte anzuwenden, ab der nächsten Ernte im Spätherbst werde es dann den wahrscheinlich weltweit ersten Schnaps von der Kaffeekirsche geben, und damit wahrscheinlich den ersten Edelbrand weltweit mit natürlichem Koffeingehalt. Und wenn man die Brennerei dann schon da habe, so Salamun, soll es außerdem noch Gongo-Edelbrand – der „Apfel“ der Cashew-Nuss, in Nicaragua „marañón“ genannt – geben und Mango wird Ulrich Salamun dann auch gleich brennen. Eigentliches Ziel sei es jedoch, nicaraguanischen Rhum agricole, also Rum aus gepresstem Zuckerrohrsaft, zu destillieren; Zuckerrohr werde in Jinotega nämlich seit jeher als Maultierfutter angebaut. Das wäre ein wichtiger Schritt, denn bisher gilt „Flor de Caña“ als bester Rum Nicaraguas, und bei dem ist noch reichlich Luft nach oben. Aber das ist ein anderes Thema.
Neun Millionen Tonnen Kaffeebohnen werden pro Jahr weltweit geerntet, das heißt, etwa vier bis fünf Millionen Tonnen Schalen und Fruchtfleisch der Kaffeekirschen warten auf eine sinnvolle Nutzung. Dafür wird es wahrscheinlich noch eine ganze Menge Ideen geben. Und vielleicht kann man aus den Blättern oder den Wurzeln ja auch noch etwas Interessantes machen.