Vom Strauch bis in die Tasse

Santos ist die Bezeichnung für einen der weltweit wichtigsten Arabica-Kaffees in Topqualität. Dennoch kennt den Namen kaum ein Mensch. Aber das ändert sich derzeit gerade ein bisschen.

Vom Strauch bis in die Tasse

Text von Florian Holzer Foto: Corbis
Almen. Die Straßen führen über grüne Hügel unter strahlender Sonne, Rinder weiden, unglaublich bunte Blumen zaubern kleine Farb-Kleckse in die Landschaft. Wenn man nicht genau hinschaut und die fallweise vorkommenden Palmen oder afrikanischen Tulpenbäume ignoriert, könnte man die endlosen Reihen der Büsche, die sich da bis zum Horizont über die Hügellandschaft ziehen, auch für Rebzeilen halten, die Gegend für eine etwas größer dimensionierte und sonnigere Steiermark.
Es ist aber Brasilien, Bundesstaat Minas Gerais, landeinwärts von Rio de Janeiro und S˜ao Paulo, in der Nähe der Stadt Varginha. Hier wächst und entsteht ein großer Teil des "Santos", einer der wichtigsten und berühmtesten Sorten von Hochland-Arabica der Welt, benannt allerdings nach dem etwa 200 Kilometer entfernten, größten Hafen Südamerikas, von dem aus er traditionellerweise verschifft wird. Die Gegend um Varginha liegt auf 900 bis 1.100 Meter Seehöhe, das tropische Klima wirkt hier schon einigermaßen erträglich, die Region kam durch den Kaffee zu Wohlstand und durch eine angebliche Ufo-Landung im Jahr 1996 zu Berühmtheit, die größten Verarbeiter und Distributeure von Rohkaffee befinden sich mitten im Ort.
Ein klein wenig verwunderlich ist freilich das völlige Fehlen jeglicher Dschungel-Exotik, kaum Palmen, kein Schatten, keine wilden Tiere, nichts Geheimnisvolles, nichts von dem, was man mit Kaffeeanbau vielleicht immer ein bisschen in Verbindung brachte. Kaffeeplantagen sind indes hocheffiziente Landwirtschaft, gepflanzt wird dort, wo sich eine Anlage mit Maschinen rationell bewirtschaften lässt, die steileren Hänge würden vermehrten händischen Einsatz erfordern und veröden damit zusehends. Wo man als europäischer Besucher ebenfalls umzudenken hat und was man gleich einmal vergessen kann, ist die etwas romantische Vorstellung von gewachsener Qualität, wie wir sie aus der Weinwelt kennen: Lagen, "Crus", Einzelplantagen spielen beim Kaffee so gut wie überhaupt keine Rolle. Was zählt, ist das Klima, die Pflanzdichte, die Menge, Gesundheit und Größe der Bohnen sowie deren analytische Werte. Klar könne man versuchen, einen speziellen Charakter einer besonders geeigneten Lage durch besondere Bemühungen herauszuarbeiten, erklärt ein Plantagenbesitzer, aber es lohne sich einfach nicht. Für einen Sack Kaffee, das ist die gehandelte Standard-Einheit und entspricht 60 Kilo, fallen etwa hundert Reales Arbeitskosten an, das sind 40 Euro. Das enthält Düngen und Jäten der Plantagen, Wipfeln der Büsche, Ernte, Waschen, Fermentation und Ablieferung des Rohkaffees an den Händler. Alles, was diese Kosten in die Höhe treibt, macht die Qualität der Kaffeebohne zwar vielleicht um eine Nuance besser, den Preis zugleich aber unattraktiv. "Kaffee ist ein Massengeschäft", erfährt man bei Volcafé in Varginha, einem der größten Händler und Warehouses der Region, der etwa 50% der regionalen Ernten übernimmt, sortiert, lagert und weiter vertreibt. Die Qualität der Bohnen wird eigentlich hier definiert, nicht so sehr in den Plantagen. Die Schlagworte lauten Selektion und Sortierung: Die Bohnen laufen über riesige und irrsinnig laute Förderbänder und Rüttelpulte, werden einerseits nach Größe sortiert, andererseits werden schadhafte Bohnen entfernt, 99,9% Reinheit sind Standard – das ist die Qualität, die im Kaffeebohnenhandel zählt. Herkunft, Sorte, Bohnengröße, gewaschen oder trocken fermentiert, kein Hersteller, keine Lage, kein Jahrgang.
Die hohe Qualität, die in der Region erzielt wird, – das heißt geringe Säurewerte, hohe physiologische Reife und intensive Aromen-Entwicklung von besonders schokoladigen, dunklen, komplexen Noten, für die der Santos berühmt ist – hat ihre Nachteile: Aus einem Hektar lassen sich hier nur etwa 20 Säcke Kaffee gewinnen, also 1.200 Kilo. Darüber hinaus erschweren schlecht ausgebaute Straßen den Transport zu den Häfen, dennoch fallen in Brasilien 20% Transportsteuer an, in den Lagerhäusern hält Kaffee wiederum auch nicht länger als ein Jahr, dann verlieren die Bohnen an Qualität, Lagerung in den feuchten Warehouses der Häfen ruiniert den Rohkaffee noch viel schneller und Brasiliens Häfen gelten derzeit noch als extrem langsam …
Davon bekommt man als Konsument in Österreich – mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von acht Kilo beziehungsweise 162 Liter jährlich beziehungsweise 2,6 Tassen täglich liegt man international gesehen wirklich nicht schlecht im Rennen – natürlich nur verhältnismäßig wenig mit. Zumindest bis jetzt, denn das Qualitätsbewusstsein sei derzeit sehr stark im Wachsen, meint Marcel Löffler, Geschäftsführer bei Meinl, dem österreichischen Marktführer auf dem Gastronomie-Sektor. Herkunft und Rahmenbedingungen seien auch beim Kaffee – bisher ja eines der Lebens- und Genussmittel, das diesbezüglich am wenigsten Hintergrundinformation bot – von zunehmendem Interesse, auch das Konsumationsverhalten habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert: "Convenience", also fertig gemahlener Kaffee, wie er vor 20 Jahren durch die deutschen Handelsketten auch in Österreich populär wurde, verliere stark an Marktanteil, Pads und Kapseln – also eine etwas andere Form der Convenience – wachsen sehr stark. "Aber auch die ganze Bohne ist wieder im Kommen, wertmäßig derzeit bei etwa 20%, bald vielleicht bei 40 bis 50%". Das Kapsel-Business habe den Kaffeemarkt jedenfalls komplett umgedreht, war man früher sein Leben lang einer Marke treu, so sei heute die Vielfalt und Abwechslung das Kaffeethema – "ein völliger Paradigmenwechsel", so Marcel Löffler.