Von Liebe und Wahnsinn, Wölfen und Meerjungfrauen

Francesco Illy, Enkel des Begründers der bekannten Triestiner Edelrösterei, geht schon seit Jahren fremd: Seine Leidenschaft gilt nun nicht mehr nur Kaffeebohnen, sondern auch Trauben. In der Toskana betreibt der rastlose Unternehmer sein eigenes Weingut und will mit der von ihm erdachten „Bonsai“-Reberziehung die Weine dazu zwingen, noch besser zu werden.

Text von Christina Fieber ∙ Fotos von Alessandro Boscolo Agostini

Vielleicht ist es dieser trotzig-freche Blick, der ihn so kindlich erscheinen lässt. Wie einen Kobold, der gerade den nächsten Unfug ausheckt. Dabei ist Francesco Illy schon über sechzig Jahre alt, und seine langen, zum Zopf gebundenen Haare sind längst ergraut. Mit der dicken Zigarre im Mundwinkel und dem Dreitagebart sieht er ein wenig wie der kubanische Diktator Fidel Castro aus. Das schelmische Lächeln lässt aber eher auf ein sonniges Gemüt schließen.

Der Spross der bekannten Triestiner Kaffeedynastie will alles, nur nicht still stehen oder gar vernünftig werden. Er hat in seinem Leben schon viel gemacht; hat Illycaffè in der Schweiz aufgebaut, als Designer und Fotograf gearbeitet, war Pilot und ist über alle sieben Meere gesegelt. Jetzt betreibt er ein Weingut in der Toskana, das er als das „schönste Abenteuer“ seines Lebens beschreibt: „Hier bin ich angekommen, das ist mein Platz“, schwärmt er.

Er kam zufällig nach Montalcino, verliebte sich sofort in die unberührte Landschaft und war besessen davon, hier zu leben. Eigentlich wollte er nur ein Haus kaufen, am Ende entstand daraus ein richtiger Weinbetrieb. Jeden Rebstock habe er selbst gepflanzt auf diesem wilden Stück Land, das er von einem Schäfer erwarb, damals vor 15 Jahren. Zuerst verkaufte er die Trauben, doch irgendwann reizte es ihn, seinen eigenen Wein zu keltern.
„Verdammt, schmeckt der gut!“, dachte er sich, und dann sei er in diese verrückte Winzerwelt reingekippt und habe sich darin rettungslos verloren. Auch wenn seine Schilderungen verklärt klingen, hört man ihm gerne zu. Franceso Illy versteht es zu begeistern. Spricht er von seinem Weingut „Podere Le Ripi“, ist er nicht mehr zu bremsen.

Vorbild ist die „Domaine de la Romanée-Conti“, das wohl bekannteste Weingut im Burgund. Immer wieder pilgert er hin, um zu verstehen, warum die Weine dort so exzellent schmecken. Langsam glaubt er, ihnen auf die Schliche zu kommen.

Zwei der Geheimnisse sind für ihn die radikale Selektion der Trauben und die dichte Bepflanzung: Die Rebstöcke sollen möglichst eng stehen, um einander zu konkurrieren – jeder Einzelne muss sich so noch mehr anstrengen, um an die begehrten Nährstoffe in der Tiefe des Bodens zu kommen.

Fieberhaft tüftelte der Neowinzer an einem System, diesen Vorgang zu optimieren und setzte dafür die Reb­stöcke immer dichter. „Wir haben gemerkt, dass die Qualität der Weine dadurch deutlich besser wird und wollten die Pflanze dazu zwingen, noch tiefer zu wurzeln“, erklärt er, „nur dort unten bekommt sie das Feinschmeckermenü!“

Francesco Illy gibt sich nicht mit halben Dingen zufrieden, will immer alles bis zum Äußersten treiben. Der ihm angeborene Forschergeist lässt ihn schließlich das so genannte „Bonsai“-System entwickeln: Die einzelnen Rebstöcke in Form von Bäumchen haben so wenig Abstand zueinander, dass sich nur wenige, winzig kleine Trauben entwickeln können. „Die haben es aber in sich“, meint er verschmitzt und ist sichtlich stolz, den scheinbar dichtesten Weinberg der Welt zu besitzen.

Sein Leben war von jeher auf Superlative ausge­richtet. Immer wollte er nur das Beste: Für Illycaffè verfasste er einmal ein 70-seitiges Manifest über die perfekte Tasse Kaffee. In der erfolgreichen Familiendynastie hatte Francesco den Part des Kreativen, des Künstlers: Gemeinsam mit einem italienischen Stararchitekten entwickelte er die Design-Espressomaschine „FrancisFrancis!“, die zum Verkaufsschlager wurde. Auch die von diversen zeitgenössischen Künstlern gestalteten Kaffeetassen gehen auf sein Konto.

Das Verhältnis zu seinem inzwischen verstorbenen Vater Ernesto Illy und den beiden Brüdern dürfte aber nicht immer ganz harmonisch gewesen sein. Der Querdenker fiel immer wieder mit unbequemen Ansichten auf. Zwar sitzt er nach wie vor im Vorstand des Triestiner Konzerns und leitet die Schweizer Tochterfirma „Amici Caffè“, verbringt aber zunehmend mehr Zeit auf seinem Weingut in der Toskana. Auch hier verblüfft er sein Team immer wieder mit ungewöhnlichen Ideen. Die Rolle des genialen Freigeists scheint ihm zu gefallen. Ein Funken Wahnsinn habe, seiner Meinung nach, der Menschheit noch nie geschadet: „Die Bestimmung der Verrückten ist es, in der Zukunft zu leben, ihrer Zeit voraus zu sein und Visionen zu haben!“, glaubt er.

Und so trägt einer seiner Weine den Namen „Amore e Follia“, eine Ode an die Liebe und den Wahnsinn. Der Rosso Toscano ist eine Cuvée aus Sangiovese, Syrah und Merlot und wird wie ein Brunello drei Jahre im Holzfass und zwei Jahre in der Flasche gelagert, bis er in den Verkauf kommt. Mit 14,5 Prozent Alkohol ist er nicht gerade ein Leichtgewicht. Aber die Liebe ist ja auch kein leichtes Unternehmen. Auf dem Flaschenetikett steht in großen Lettern: „Seid verrückt, meine Freunde, um die Magie der Liebe in vollen Zügen genießen zu können!“ Sein Rosso di Montalcino heißt dann auch „Amore e ­Magia“, denn: „Alles, was aus Liebe geschaffen wird, ist magisch“, weiß er. Es ist ein zarter, zerbrechlicher Sangiovese.

Irgendwie klingt das alles versponnen und entrückt, aber Francesco Illy bemüht sich erst gar nicht, seriös zu wirken. Was da draußen in der wirklichen Wirklichkeit opportun ist, kümmert ihn wenig. Mit den Weinen kann er seine kindliche Natur ausleben: Es ist eine wundersame Welt der Märchen und Fabelwesen, eine Welt voller Abenteuer und Phantasien. Die Etiketten entwirft er natürlich selbst: „Cielo d’Ulisse“, ein vollmundiger Syrah, ziert ein Bild mit einem Wolf auf einer Felsenklippe – vor ihm ein Schiff, das über das nächtliche Meer segelt, über ihm der Sternenhimmel. Ulysses, der Abenteurer und Weltumsegler – eine Figur, die dem eigenwilligen Winzer gefällt.

Schließlich gibt es noch einen Brunello die Montalcino, der nach Waldbeeren und Wildnis duftet: „Lupi e Sirene“, Wölfe und Sirenen. Für das Etikett des Brunello hat er ein eigenes Wappen entwerfen lassen, ebenso phantastisch wie alle anderen: Zwei Wölfe tragen eine Sonnenkrone, verführt von langhaarigen Meerjungfrauen. „Die Sonne erwärmt die Gefühle und regt die Phantasie an“, erklärt er das Szenario und grinst dabei kokett.

Aushängeschild ist der „Bonsai“, ein dunkelroter Sangiovese, gelesen aus dem Weinberg mit der höchsten Bepflanzungsdichte der Welt. „Es war ein Wettlauf gegen die Zeit“, erzählt Illy, „die Wurzeln mussten die tiefen Schichten des Bodens erreichen, bevor sie verhungerten.“ Außer ihm glaubte niemand an diese verrückte Idee. Wenn andere aufgeben, kommt er erst so richtig in Fahrt. „Bonsai“, ebenfalls als Rosso di Montalcino klassifiziert, ist zu Beginn zurückhaltend, fährt dann aber mit allen Geschützen auf.

Seit heuer ist das Weingut zertifiziert biodynamisch. Nur so würden die Reben Freude am Leben haben. „Aus glücklichen Trauben entstehen gute Weine!“, ist er überzeugt. „In zehn Jahren werden die meisten Weine biologisch sein.“ Der ungewöhnliche Weinmacher ist offenbar beseelt von der Idee, die Welt zu verbessern: „Wir haben die Erde zerstört, und jetzt müssen wir sie wieder reparieren“, fordert er.
Was wie der abgenützte Wahlslogan einer Ökofraktion klingt, ist ihm ernst: In Ägypten unterstützt er seit kurzem eine Organisation, die mitten in der Wüste Bäume pflanzt, um die CO2-Werte weltweit zu verringern. Voller Begeisterung erzählt er von seinem jüngsten Projekt. Er war schon etliche Male dort, um selbst Hand anzulegen.

Nebenbei baut er seit nunmehr sieben ­Jahren am „perfekten Weinkeller“. In vier Jahren soll er fertig sein. Ausschließlich aus natürlichen Materialien, um die magnetischen Felder der Natur nicht zu stören.

Vielleicht ist er ein Träumer, aber er ist nicht der einzige.

53024 Montalcino
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Bezugsquelle: Ulrich Berthold
Wein + Caffè
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