Weg vom Autofahrer-Bier

Wie kommt das Salz ins Meer? Und der Alk aus dem Bier?

Text von Florian Holzer Fotos: Getty Images, Hersteller

Alkoholfreies Bier hat in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Wandlung durchgemacht: vom trostlosen Loser-Getränk zur geschmacklich ernst zu nehmenden Softdrinkalternative.
Statistiker lieben alkoholfreies Bier. Nicht, weil sie bei seinem Genuss die Zahlen ungetrübter erheben und klarer deuten könnten, nein, sondern weil ein alkoholisches Getränk ohne Alkohol natürlich ein interessanter Widerspruch in sich ist und man deshalb gerne wissen möchte: Wer trinkt das und aus welchem Grund? Und vor allem: Wie viele sind das, die so etwas tun, und was machen die sonst so?

Weder bei Pils noch bei Märzen noch bei New Zealand IPA oder Oat­meal Stout interessiert es irgendwen, warum und von wem es getrunken wird, beim alkoholfreien Bier hingegen sehr. Und allein dieser Umstand ist bemerkenswert.
Vielleicht, weil diese Gruppe die am stärksten wachsende unter den Biertrinkern ist. Denn auch wenn der Anteil derer, die dem alkoholfreien Bier generell nicht abgeneigt sind, mit 22 % seit Jahren in etwa gleich bleibt, dann hat sich die Zahl der expliziten Fans dieses Getränks in den vergangenen fünf Jahren von 4 % auf 8 % verdoppelt. Und das ist in einem Land, das den zweithöchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Bier hat, nicht nichts. Noch beachtlicher ist aber vielleicht die umgekehrte Betrachtungsweise: Vor fünf Jahren lehnten noch 60 % aller Biertrinker das Alkoholfreie grundsätzlich ab, bei der Erstellung des letzten „Bierkulturberichts“ von Marktführer Brau Union im April 2019 waren es nur mehr 51 %. Und damit einhergehend: 48 % aller Biertrinker vermuten, dass in zehn Jahren mehr alkoholfreies Bier getrunken wird als noch heute. Und schon im zweiten Absatz des Vorworts dieses Bierkulturberichts lenkt Brau-Union-Vorstandsvorsitzender Magne Setnes das Thema in Richtung alkoholfreies Bier – so etwas nennt man dann wohl einen Trend.

Kein Wunder, denn dieses Produkt hat sich in vielerlei Hinsicht sehr verändert. Es schmeckt besser als früher, seine Verpackung sieht mittlerweile nicht mehr so peinlich aus wie früher und die Leute, die es trinken, gelten schon längst nicht mehr als Versager, Weichlinge oder als jene Pechvögel, die halt den kurzen Strohhalm gezogen haben und also bei der Heimfahrt das Steuer übernehmen müssen. Nein, der Alkfreibiertrinker von heute ist jung, gesund, sportlich, verantwortungsbewusst und hat in der Fernsehwerbung einen energischen Blick, volles Haar und strahlend weiße Zähne.

Tatsächlich ist das Auto natürlich nach wie vor das stärkste Argument für alkoholfreies Bier. 49 % jener, die alkoholfreies Bier sehr gern/gern/­selten trinken (was wiederum insgesamt 47 % aller Biertrinker sind), tun das, weil sie sich danach ans Steuer setzen. Sehr viel interessanter aber ist die nächste Gruppe, nämlich jene, die das Null-Bräu trinken, weil sie Lust auf ein Bier haben, aber keine Lust auf Alkohol, und das sind auch immerhin 42 % dieser Kundengruppe. Diese Gruppe ist relativ neu, so neu wie auch die neuen alkoholfreien Biere sind. Dieser Gruppe – nennen wir sie die „Genießer“ – wurde früher einfach kein Produkt angeboten, denn Biere ohne Alkohol schmeckten damals wie Abwaschwasser ohne Alkohol und waren nur knapp über dem Gefrierpunkt einigermaßen schmerzfrei zu konsumieren. Mittlerweile wird da mit mehr und mit aromatischem Hopfen gearbeitet, mit Hefetrübung und mit aufwendiger Brautechnik, sodass die Unterschiede bei Geschmack und Mundgefühl zwischen „echtem“ und alkoholfreiem Hopfentee gar nicht immer so leicht feststellbar sind.

Auch nicht uninteressant ist, dass 18 % der Alkfreibiertrinker ihr Getränk nicht als Alternative zu normalem Bier sehen, sondern im Gegenteil als Möglichkeit, stark gesüßte Softdrinks bleiben lassen zu können. Nur 16 % wählen das Nullprozentige nach dem Sport, obwohl gerade dieser Sektor ja lange als Hoffnungs­gebiet der Brauereien galt. Falsch ­gedacht, die Genießer sind wichtiger als die Sportler. (Dass alkoholfreies Bier – anders als in Deutschland – nicht als „isotonisch“ bezeichnet werden darf, da hierfür der Salzgehalt zu gering ist, mag eine Rolle spielen …) Bleibt die Frage: Wie funktioniert das überhaupt?

Wie bekommt man Alkohol, ein nicht unwesentliches Produkt eines durch Gärung geprägten Brauvorgangs, wieder aus dem Bier heraus? Da hat man mehrere Möglichkeiten. Eine einfache, über lange Zeit praktizierte und die häufigste Variante ist jene, erstens einen Sud mit sehr geringer Stammwürze zu brauen und den dann auch nur kurz angären zu lassen, sodass es zwar zu ein bisschen Aroma kommt, aber nur zu sehr wenig Alkohol. Nachteil dieser Methode ist ein recht markanter Restzucker, weshalb diese Biere mit ordentlich Kohlensäure aufgefrischt werden mussten und über vier Grad Celsius Genusstemperatur nur selten Freude bereiteten. (Nicht umsonst wurden da oft Etiketten mit temperatursensiblen Indikatoren aufgeklebt.) Die sehr viel aufwendigeren Methoden sind die – in der Weinbranche berüchtigte – Umkehrosmose und ein Destillationsverfahren. Hier wird ­zuerst ein ganz „normales“ Bier ­gebraut, bei dem anschließend im Umkehrosmoseverfahren der Alkohol durch eine semipermeable Membran vom „Wasser“ (also dem Rest-Bier) getrennt wird. Die im Alkohol verbleibenden Bieraromen können abgetrennt und dem Bier wieder beigemengt werden. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Beim Destillationsverfahren wiederum wird mit Vakuumverdampfern gearbeitet, das Prinzip ist das gleiche wie bei der Osmose, häufig werden diese beiden Techniken auch in Kombination angewendet. Dass es sich nur für große Brau­ereien lohnt, diesen Aufwand zu betreiben, ist klar. In Österreich ist das konkret Gösser, wo Braumeister Andreas Werner 2015 die Rezeptur für das Gösser „Naturgold“ entwickelte und man die Anlage im Zuge der letzten Modernisierung in Betrieb nahm. Jene Craftbeer-Brauereien, die ohnehin immer wieder über Grenzen hinweg mit Spezialisten zusammenarbeiten, kaufen diese Technologie aber oft auch zu und entwickeln spezielle Rezepturen, die trotz der technischen Verfahren ein möglichst ausdrucksstarkes Ergebnis hervorbringen. Was die Szene inzwischen auch sehr viel bunter, vielfältiger und damit dramatisch attraktiver machte.

Neben heimischen und deutschen Großbrauereien mischen da jetzt vor allem auch ein paar mittlerweile schon zu respektabler Größe gewachsene Craftbeer-Pioniere aus Schottland und Skandinavien mit. Aber auch kleine, handwerkliche Brauereien zeigen, dass man vor allem auf dem IPA-Sektor alkoholfrei ordentlich was erreichen kann, wenn man nur genügend vom aromatischen Hopfen nimmt.

Alle alkoholfreien Lager / Pils-Biere sind im regulären Lebensmittelhandel erhältlich.
Ales / IPAs sind bei Beerlovers, 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 35, beerlovers.at, erhältlich.

Lager / Pils / Helles
Untergärige Biere, des Österreichers Alltagsbier, alkoholfrei: schwierig

Gösser Naturgold
0,5-Liter-Flasche
2,7 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
7
Das ist wirklich kein schlechtes alkoholfreies Bier. Die Mischung aus Gersten- und Weizenmalz verleiht dem Getränk wie beim Zwickl eine gewisse Vollmundigkeit durch die Hefe; mächtiges Mundgefühl, dezente, aber deutliche Bitternoten, „bieriger“ Geschmack.

Ottakringer Null komma Josef
0,5-Liter-Flasche
2,9 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
7
Lange Zeit war der Name das Beste am alkoholfreien Bier von Ottakringer. Aber irgendwie haben sie das über die Jahrzehnte hinweg ganz gut hinbekommen. Der einst schale Geschmack wich herben Hopfenaromen, den etwas höheren Zuckergehalt merkt man zwar, er ist durch die Bittere aber ganz gut balanciert. Klassische, herbe Lager-Stilistik, gut.

Jever Fun
0,33-Liter-Flasche,
0 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
6,5
Das alkoholfreie Pilsener der nordfriesischen Brauerei ist das einzige im Panel, das ­keinerlei Restzucker auf­zuweisen hatte, und das schmeckt man ihm auch an: sehr trocken, typisch bitter, das Spiel des Originals fehlt zwar ein bisschen, aber das ist eine wirklich gut gelun­gene alkoholfreie Variante des Klassikers.

Clausthaler extra herb
0,5-Liter-Dose
2,2 g Zucker / 0,49 Vol.-%
5,5
Mit Gründungsdatum 1979 ist das Clausthaler aus der deutschen Binding-Brauerei eine der ältesten alkoholfreien Biermarken am Markt. Dem stets etwas laschen Basismodell wurde eine hopfigere „Extra herb“-Version beigestellt, gute Idee, wenngleich die exotischen Hopfenaromen dem ­Getränk ein bisschen was ­Limonadeartiges verleihen.

Heineken 0.0
0,33-Liter-Flasche
1,3 g Zucker / 0 Vol.-%
5
Das einzige Bier im Bewerb, das effektiv alkoholfrei ist,
da wird wohl einiger technischer Aufwand dahinterstecken. Die Aufmachung der kleinen Flasche ist nicht ­unattraktiv, das Etikett weist auf die einzigartige Heineken-Hefe hin, die man in diesem Bier auch recht deutlich schmeckt. Etwas ­malzig, hefig, leicht, trocken.

Schlossgold Premium
0,5-Liter-Flasche
3 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
4,5
Die österreichische Tra­ditionsmarke der Brau Union, auch schon seit den 80er-Jahren am Markt und seither doch stets ein wenig besser ­geworden. Viele Spuren hinterlässt das Bier ­allerdings nicht: kurz, leicht malziger Abgang, wahrscheinlich eine Spur hopfiger als ­früher.

Pittinger alkoholfrei
0,5-Liter-Dose
4,8 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
2,5
Die Egger Privatbrauerei in St. Pölten füllt für die Supermarktkette Spar Biere unter der Marke Pittinger ab, darunter auch ein alkoholfreies, das allerdings noch auf dem Niveau früherer Alkfrei-Biere operiert: wenig Kohlensäure, nur geringe Hopfennoten, sehr süß.

Brewdog Nanny State Hoppy Ale
0,33-Liter-Flasche
0,1 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
••••••••• 9,5
Einer der absoluten Klassiker der alkoholfreien Craftbeer-Szene. Dieses Bier mit dem markanten Namen und der für die Schotten typischen poetischen ­Beschreibung der Bieraromen ist schlichtweg sensationell und sorgt bei jedem, der dieses Getränk zum ersten Mal im Mund hat, für absolutes Erstaunen: Ja, so kann alkoholfreies Bier schmecken. Konkret merkt man diesem extrem druckvollen, dunkelbernsteinfarbenen Ale mit deutlichem Hopfenduft und attraktiven Nussaromen überhaupt nicht an, dass da kein Alkohol drin ist. Das ist nicht nur ein großartiges alkoholfreies Bier, das ist überhaupt ein großartiges Bier!

Ale / Pale Ale / India Pale Ale
Obergärige tun sich alkoholfrei ­leichter; und: Die Craft-Brewer sind top.

Brewdog Nanny State Hoppy Ale
0,33-Liter-Flasche
0,1 g Zucker / < 0,5 Vol.-%
9,5
Einer der absoluten Klassiker der alkoholfreien Craftbeer-Szene. Dieses Bier mit dem markanten Namen und der für die Schotten typischen poetischen ­Beschreibung der Bieraromen ist schlichtweg sensationell und sorgt bei jedem, der dieses Getränk zum ersten Mal im Mund hat, für absolutes Erstaunen: Ja, so kann alkoholfreies Bier schmecken. Konkret merkt man diesem extrem druckvollen, dunkelbernsteinfarbenen Ale mit deutlichem Hopfenduft und attraktiven Nussaromen überhaupt nicht an, dass da kein Alkohol drin ist. Das ist nicht nur ein großartiges alkoholfreies Bier, das ist überhaupt ein großartiges Bier!

Brewdog Punk AF IPA
0,33-Liter-Flasche
1,8 g Zucker / 0,5 Vol.-%
9,5
Und dann gleich noch eines von den Schotten aus Ellon, Aberdeenshire. Das Punk IPA ist das bekannteste Bier der 2007 gegründeten und mittlerweile mittels Kooperationen und Beteiligungsmodellen in zahlreichen Ländern vertretenen Craftbeer-Großbrauerei, und sie brauen es auch alkoholfrei: ein schönes, ­blondes, klares IPA mit exotischen Maracuja-Hopfenaromen, mit ­endlos langen, harmonischen Bitternoten, toll im Duft, toll im Mund, ein modernes, meisterlich gebrautes, aromatisches Bier, das sehr viel Spaß macht; und bei dem einem der ­Alkohol nicht abgeht.

Thornbridge Zero Five
0,33-Liter-Flasche
0,1 g Zucker / 0,5 Vol.-%
9
Und gleich noch ein Craftbeer-Pionier von den britischen Inseln, diesmal aus Bakewell, Derbyshire. Auch Thornbridge zählt zu den ­Ikonen des handwerklichen Brauens und zu den Meistern des modernen Ale. Das „Zero Five“ präsentiert in der Nase das gesamte Spektrum ­moderner Hybridhopfen­aromen; sehr viel Grapefruit, Yuzu und andere Zitrusfrüchte, wunderbar herb abge­puffert, mit köstlich mürber Bittere. Ein wirklich gutes IPA, aber halt ohne Alkohol.

Mikkeller Drinking the Snow Winter Ale
0,33-Liter-Flasche
0,5 g Zucker / 0,3 Vol.-%
9
Womit wir bei den nächsten Säulenheiligen der Craftbeer-Szene wären: Die schwedische Mikkeller-Brauerei ist bei fast allem, was sie macht, Weltklasse, kein Wunder, denn sie kooperiert stets mit den jeweiligen Meistern ihres Fachs. In diesem Fall wird dieses mit Orangenschalen und Koriandersamen gebraute Winter-Ale bei D’Proef in Belgien gebraut. Das Bier ist cremig, malzig, mächtig, röstige und nussige Noten ­geben den Ton an, feine Zitrus­aromen sorgen für die Obertöne, elegant, komplex, köstlich.

Riedenburger Brauhaus Dolden-Null IPA
0,33-Liter-Flasche
4,3 g Zucker / 0,5 Vol.-%
8
Seit 1994 braut diese bayerische Traditionsbrauerei biologisch, neben einem klassischen Sortiment wird seit einigen Jahren auch eine Craftbeer-Serie namens „Dolden“ gebraut. Mit dabei ein bemerkenswertes alkoholfreies IPA (die Riedenburger brauen insgesamt sechs verschiedene alkoholfreie Biere!) mit der Kleinigkeit von 42 Bitter-Einheiten. Das ist viel, die Bittere wird von einer mächtigen Struktur, brotig-malzigen Aromen aber gut abgepuffert. Ein Maul voll Bier, kann man sagen, ein Bier, das kraftmäßig wenige Kompromisse macht.

Riegele Liberis 2+3 IPA
0,33-Liter-Flasche
4,5 g Zucker / 0,4 Vol.-%
7
Noch eine bayerische Brauerei; Riegele existiert in Augsburg seit 1386, und das sieht man als kein Hindernis, ein sehr schönes, sehr modernes alkoholfreies Bier mit noch dazu einem wunderschönen Etikett auf den Markt zu bringen. Zwei verschiedene Hefen plus drei sehr aromatische Hopfensorten sorgen für Body und Aroma. Das Bier ist wunderbar cremig, bitter und aromatisch, allerdings etwas zerfahrener als das Riedenburger.

Brewdog Hazy AF IPA
0,33-Liter-Dose
1,8 g Zucker / 0,5 Vol.-%
•••••• ••• 6,5
Noch einmal Brewdog, diesmal aus der Dose: Das „Hazy“ (engl. für dunstig, trübe) IPA ist tatsächlich sehr trüb, fast milchig hell; aromatisch drängt sich fruchtige Grapefruit in den Vordergrund, das Bier ist lebendig, frisch, durchaus attraktiv, kann hinsichtlich Komplexität aber nicht mit den beiden anderen IPAs mithalten; und ­erinnert letztlich doch sehr stark an die Limo­nade der Marke Gröbi.

Omnipollo Konx
0,33-Liter-Dose
0,5 g Zucker / 0,3 Vol.-%
3
Omnipollo ist ein vor zehn ­Jahren von einem Brauer und einem Künstler in Stockholm gegründetes Avantgarde-Bier-Projekt. Alles ist hier sehr bunt und außergewöhnlich, man braut Biere für jene, denen Craftbeer schon zu kommer­ziell ist. Wunderbar, nur das ­alkoholfreie Konx ist dann doch etwas seltsam. Von seinen Anlagen her – milchig trüb mit starken Grapefruitaromen – dem „Hazy“ von Brewdog durchaus ähnlich, aber ein ­wenig unsauber, weniger ­lebendig, sehr limonadig.