Wein aus steilen Lagen

Einige der berühmtesten Weine der Welt wachsen in der Ebene oder auf nur leicht geneigten Hängen – Bordeaux, Teile von Burgund, Rioja, der Toskana, aber auch der Großteil des Burgenlands –, andere auf mittel- bis extrem steilen Hängen: Mosel, Wachau, Piemont, Toskana und Teile Burgunds. Wir haben bei unseren Winzern nachgefragt, was es mit der Steilheit auf sich hat.

Text von Michael Prónay · Fotos von Philipp Horak

Erwin Sabathi hat seine Weingärten am südsteirischen Pössnitzberg stehen. Die südliche Steiermark ist ja bekannt für den Weinbau, der praktisch ausschließlich auf Hügeln stattfindet. Wie werden da die Weingärten angelegt? „Seinerzeit, in der Monarchie, da war der Terrassenweinbau in der Steiermark der Normalfall. Inzwischen aber hat sich das System der Rebzeilen, die in der Falllinie angelegt werden, fast völlig durchgesetzt.“ Ausnahmen mit Terrassen gibt es beispielsweise noch in Kitzeck. Warum Falllinie? „Der Boden am Pössnitzberg, das ist Opok. Der ist für Terrassenanlagen grundsätzlich ungeeignet, weil die Böschungen abbröckeln würden.“ Also wird bergaufbergab gearbeitet, mit relativ großen Zeilenabständen, damit man mit dem Traktor arbeiten kann. Mit dem Traktor am Steilhang? Die Frage drängt sich unmittelbar auf: „Bis zu 50, 55% Hangneigung geht’s auch bergauf mit dem Traktor, bei steileren Lagen braucht man Spezialtraktoren.“ Wobei Erwin Sabathi Wert darauf legt zu bemerken: „Alle unsere Traktoren und selbstfahrenden Arbeitsmaschinen haben eine Abfahrsperre: Auf Knopdruck fährt ein Anker in die Erde, der den Traktor hält.“ Ist das notwendig? „Und wie! Am Steilhang ist die Absturzgefahr groß, eine Sekunde geringerer Aufmerksamkeit kann zur Katastrophe führen – was leider immer wieder geschieht.“

Wird der Wein am Hang besser? „Na freilich, weil der Sonneneinstrahlungswinkel sich immer mehr den 90 Grad nähert, die Reben bekommen deutlich mehr Sonneneinstrahlung ab als in der Ebene.“ Und wenn es sich um eine Kessellage handelt – was in der Steiermark häufig und am Pössnitzberg ebenfalls der Fall ist, dann „gibt es enorm hohe Temperaturen, die von den Steinen im Pössnitzberg gespeichert werden und die sehr kühlen Nächte mildern.“ Stolz ist der Winzer auch auf das Leben in seiner Paradelage: „Wir sind die Region mit der dichtesten Verbreitung von Kleinreptilien, Schlangen und dergleichen. Smaragdeidechsen sind hier fast täglich zu sehen.

Wie hoch liegen die Weingärten? „Die besten Lagen befinden sich auf 400 Metern Seehöhe, wobei für den Pössnitzberg wiederum eine Ausnahme gilt: Da stehen die Weingärten bis 540 Meter, die Temperatursprünge da oben sind sensationell. Die Höhe bewahrt uns auch vor der Taunässe, mit der wir in der Ebene immer kämpfen müssten.“

Wie sieht die Steillagenverteilung aus? „Am Pössnitzberg haben wir 21 Hektar, 20 davon mit 50% und mehr Neigung.“ Die steilste Lage? „Wir haben einen Hektar mit 70% Hangneigung – da wird aber alles nur mehr per Hand gemacht.“

Bei Willi Sattler „gibt’s ja eigentlich nur Steillagen. Das sind Gunstlagen in Südost- bis Südwestexposition.“ Warum braucht es da Gunst? „Ganz einfach: Klimatisch sind wir ein ziemlich kühles Gebiet und obendrein auch ziemlich feucht, so mit 800 bis 1.200 mm Regen im Jahr. Subtropische Phasen gibt’s gelegentlich im Sommer.“ Was bedeutet das in der Praxis? „Wir müssen uns um gute Traubenreife extrem bemühen. Gute Trauben brauchen die besten Lagen, und das sind eben die steilsten.“ Obendrein: „Es gibt kein Patentrezept, wie die Trauben am besten reifen, denn der Witterungsverlauf ist eben jedes Jahr anders.“ Was noch dazukommt: „In den Steillagen ist die Arbeit a priori schwerer als in der Ebene, und außerdem ist die maschinelle Bearbeitung extrem eingeschränkt, wenn der Boden nass ist, was ja eben ziemlich oft vorkommt.“ Auch hier werden die Weingärten in der Falllinie angelegt, das ergibt im Übrigen eine ganz besondere Thermik: „Wir haben wenig Wind, die Sonne heizt den Hang auf, das gibt einen warmen Aufwind, der Reben wie Boden rascher abtrocknet – das unterscheidet uns von anderen Weinbauregionen.“ Denn trotz des vielen Niederschlags bleibt das Leben der Stöcke in Harmonie, auch die Wüchsigkeit ist dadurch gesichert. Er sieht noch einen weiteren Unterschied zwischen Falllinien- und Terrassenbewirtschaftung: In südexponierten Lagen bekomt der Falllinien-Rebstock nämlich den ganzen Tag Sonne, während auf der Terrasse die dem Hang zugeneigte Seite der Stöcke kaum Sonne sieht.

Willi Sattler legt auch großen Wert auf die Dauerbergrünung der Rebzeilen: „Das Bodenleben ist wichtig und sehr diversifiziert, die Begrünungssysteme werden laufend weiterentwickelt und verbessert, sie fördern den Humusaufbau.“ Was dazukommt: Die Insekten haben dadurch ihren eigenen Lebensraum, „und eben nicht in den Reben“. Wie es überhaupt keine Patentrezepte für den Weinbau gibt: „Nur ein Beispiel: Unsere Böden sind sehr wasserdurchlässig, das ist bei uns super, aber in trockenen Weinbaugebieten wär’ das eine Katstrophe.“

Ilse Mayer am Geyerhof in Oberfucha südlich von Krems kann keine wirklich steilen Lagen – in dem Sinn, dass sie so terrassiert sind, dass sie nicht mit dem Traktor befahrbar wären; sehr wohl aber Hügel- oder Hanglagen: „Die meisten sind nach Osten zur Donau hin geneigt, wir haben aber auch reine Südlagen wie den Goldberg und den Kirchensteig.“ Der Boden am Goldberg ist Hollenburger Konglomerat, der Hang ist terrassiert und die Böschungen zwischen den Terrassen liegen der Winzerin genauso am Herzen wie die Rebstöcke selber: „Da wachsen Sträucher, Bäume und Gras, das ein oder zwei Mal jährlich gemäht wird.“ Die Terrassen sind so angelegt, dass sie auch leichte Hangneigung haben, „das vermeidet Kältestau und verhindert ein Kleinklima, das Pilzkrankheiten fördert“. Die Bäume und Sträucher sind sehr wichtig, und zwar „als Rückzugsgebiet für die Nützlinge.“ Die Rebzeilen sind begrünt, und wer Ilse Mayer als Biowinzerin kennt, weiß, dass sie die Liste der Pflanzen, die wenig Wasser brauchen („Wir haben ja nur etwa 450 mm Regen im Jahr.“), genau gecheckt hat: Weißklee, Buchweizen, Leindotter und Phacelia. Wie es der Goldberg der Winzerin überhaupt angetan hat: „Das ist eine Kessellage aus extrem kargem Konglomerat, die heizt sich unglaublich auf, trocken ist’s ja sowieso, aber dennoch, die 60-jährigen Rebstöcke wurzeln so tief, dass wir nicht einmal in Extremfällen bewässern müssen.“

Dass Hanglagen im Vergleich zur Ebene ihre Vorteile haben, ist auch klar: „Vor allem bei Frühjahrsfrösten kann die Kaltluft abfließen, was in der Ebene nicht der Fall ist. Außerdem sind Sonneineinstrahlung und die Dauer derselben höher.“ Allerdings ist sie sich eines durchaus bewusst: „Wenn das mit dem Klimawandel so weitergeht, kann es durchaus sein, dass vielleicht jene Lagen, die nach Nordosten geneigt sind, à la longue für den Grünen Veltliner vorteilhafter sind.“ Genügend Reserve hat sie für diesen Fall sowieso: „Wir haben es einmal ausprobiert, vorher waren das Äcker und Marillengärten.“ Wobei sie den Klimawandel keineswegs a priori negativ sieht: „Ich bin immer positiv und optimistisch, wir leben mit und von der Natur, es ist Teil unseres Berufes, dass wir auf Klimaveränderungen reagieren müssen. Jammern und sich fürchten nützt genau nichts. Ich bin jetzt seit 25 Jahren Winzerin, und es ist immer noch jedes Jahr gegangen, so, dass wir mit den Weinen wirklich zufrieden waren.“

Die Wachau ist sicherlich das bekannteste Steillagengebiet des Landes. In Dürnstein treffen wir auf Roman Horvath, den Geschäftsführer der „Domäne Wachau“, wie die einstige „Winzergenossenschaft Wachau“ nunmehr sehr zu Recht heißt. „Wir verarbeiten Trauben von einer Rebfläche von insgesamt 440 Hektar, damit sind wir mit ziemlicher Sicherheit der größte Verarbeiter von Steillagen und Terrassen in Österreich. Etwa zwei Drittel unserer Rebfläche sind Hanglagen, die Hälfte davon steil und also terrassiert.“ Wobei die Terrassen gar nicht unproblematisch sind: „Das sind vielfach karge, humusarme Böden, da wirkt sich der geringste Wasserstress sofort auf die Qualität aus.“ Aber wenn die Qualität passt, „dann gibt es typische, ich würde sagen für den Kenner wertigere Weine, deren Stilistik durch Mineralität und Straffheit bestimmt ist“.

Auch ertragsmäßig liegen die Terrassen deutlich unter den Weingärten in der Ebene oder auf flachen Hängen: „Herunten lesen wir beim Veltliner 9.000 Kilo auf den Hektar, auf den Terrassen sind es im Schnitt 4.000 beim Riesling, 5.000 beim Grünen.“ Wobei man nicht vergessen darf, dass der Arbeitsaufwand in den Terrassen deutlich höher ist.

Roman Horvath weist auch auf den nicht zu unterschätzenden Faktor hin, dass die Terrassen von Trockensteinmauern getragen werden: „Das ist ganz entscheidend für das Terroir: Da gibt’s ein eigenes Kleinklima (außen heiß, innen kühl), Flora und Fauna (Insekten und Kleinreptilien) haben ihren Lebensraum, auch das Regenwasser kann locker abfließen.“

Dass Weine aus Steillagen einen höheren Preis haben müssen, ist logisch, jedoch: „Das sind unter dem Strich Weine für den sehr interessierten Weintrinker und die Topgastronomie, für den einfachen Konsumenten ist’s wegen dem Preis schwierig.“ Und wie behandelt er also seine Kunden? „Wenn Handelspartner oder Importeure kommen, dann zeigen wir Ihnen natürlich die Landschaft und den Keller, aber danach geht’s durch die Weingärten den Berg hinauf, da spüren sie am eigenen Leib, wenn sie an unserer Ausblickswarte angekommen sind, was Arbeit hier bedeutet, dass Weinbau hier extrem anstrengend und fordernd ist. So etwas kommt aus dem Regal nicht hinüber, da muss man vor Ort gewesen sein.“

Auch in Sachen Traubenpreis ist Horvath konsequent am Nachdenken: „Wir haben ihn in den vergangenen Jahren verdreifacht, aber trotzdem sind wir ständig am arbeiten, um die Einkünfte der Winzer zu verbessern, denn schließlich ist der Steillagenweinbau ja das Wahrzeichen unserer Region.“

Rudi Pichler in Wösendorf, auf halbem Weg zwischen Weißenkirchen und Spitz gelegen, lebt (und liebt) seine Herkunft. „Steillagen haben in der Wachau eine lange Tradition, denn Weinbau wurde nur auf den Terrassen betrieben. Unten waren es ja hauptsächlich Obstgärten.“ Er betont auch die Rolle der Kirche, die seinerzeit die Terrassen angelegt hat: „Sie war einfach marktbeherrschend. Vor 300 Jahren hatte die Wachau drei Mal so viel Rebfläche wie heute.“ Wie kam es dann zum Umbruch, denn auf manchen Terrassen stehen ja, so Pichler, „mehrhundertjährige Wälder“? „Die Mönche haben so lange intensiv Weinbau betrieben, bis sie das Bierbrauen gelernt haben.“

Aber er hat auch eine Erklärung dafür, warum Terrassen einen besseren Wein liefern: „Da hat es im Vorjahr wissenschaftliche Bodenanalysen gegeben, deren Ergebnis war, dass die Terrassenböden für den Weinbau eine absolut sensationelle Qualität aufweisen.“ Und so ging Rudi Pichler (im Verein mit Gleichgesinnten) daran, extrem vernachlässigte und verwilderte alte Veltlinerstöcke in der Ried Achleiten zu revitalisieren. „Das war einer der spannendsten Momente in meinem Winzerleben überhaupt, das sind 60-jährige Stöcke, die geben eben einen anderen Wein als 15-jährige. Der Wein ist wirklich faszinierend.“ Also: „Hat man gesunde, tolle Böden, die seit Jahrhunderten dem Weinbau gewidmet waren, dann hat man die besten Voraussetzungen für große Weine.“ Das würde auch den deutlich höheren Arbeitsaufwand rechtfertigen: „Im Vergleich mit traktorfähigen Lagen erhöht sich der Arbeitsaufwand um den Faktor 5 bis 8 – aber diese Einzigartigkeit von Mikroklima und Bodenleben, das macht eben ein Winzerleben aus.“ Wobei die Erfahrung logischerweise hilft, wenn es um die Entscheidung der Sortenwahl für bestimmte Lagen geht: „Der Riesling hat die meisten Steine, die tiefsten Böden taugen dem Veltliner, die heißesten dem Weißburgunder.“

Franz Josef Gritsch im Mauritiushof im Zentrum von Spitz führt das Weingut bereits in siebenter Generation. Natürlich steht ein beträchtlicher Teil der Stöcke am Steilhang, „davon etwa zwei Drittel auf steilen Hangterrassen, auf denen kein Maschineneinsatz möglich ist“. Auch er weist darauf hin, dass der Weinbau hier früher wesentlich großflächiger angelegt war, Weinterrassen – heute verwaldet – gab’s bis auf 500 Meter Seehöhe. Den jüngsten Einschnitt legt er in die 1950er/60er Jahre: „Damals sind die Traktoren aufgekommen, und damit ist der Weinbau von den Hängen in Richtung Ebene gewandert, wo vorher Äcker und Felder waren, Mais bespielsweise.“ Denn: „Eine Qualitätsdefinition hat’s damals nicht gegeben, der Kilopreis war einheitlich, wurscht woher die Trauben stammten. Also sagten die Familienbetriebe sich: Wir kaufen einen Traktor und setzen Reben in die Ebene.“ Damals wurde der Weinbau am Atzberg – um dessen Revitalisierung sich der Winzer heute intensiv kümmert – völlig aufgegeben.

Der Winzer weist auch auf die Trockenheitsempfindlichkeit der Reben hin: „Bis vor 15 Jahren gab’s am Singerriedel praktisch keine Neuauspflanzung, denn: ein Trockenjahr, und die Junganlagen sind kaputt.“ Mit Bewässerung wurde es dann – auch in vielen anderen Lagen – wesentlich besser.

Natürlich ist die Wachau aus wirtschaftlicher Sicht heute viel besser dran als vor einigen Jahrzehnten: „Die Topwinzer erzielen gute Preise, der Weinjournalismus anerkennt weltweit unsere Qualität.“ Aber es gibt auch Wermutstropfen: „Hinein im Spitzer Graben, da gibt es viele nicht selbst verarbeitende Winzer, die liefern die Trauben an die Genossenschaft, aber der Preis ist für die reine Handarbeit kaum kostendeckend.“ Was dazu führt, dass immer wieder Lagen aufgegeben werden: „Denn auch die bekannten Winzernamen können nicht alles kaufen, was da wächst.“

Wobei Gritsch auch in das Lob für die steilen Lagen einfällt: „Natürlich kann man in den Steillagen ganz andere Weine machen als in der Braunerde in der Ebene. Je karger der Boden beim Riesling, desto besser der Fruchtausdruck. Unsere Weine sind international gesehen ein Nischenprodukt, da können wir nur mit Topqualität auffallen.“ Was zur Folge hat: „Ich kann mir absolut nicht vorstellen, ohne Tausendeimerberg oder Singerriedel am internationalen Markt bestehen zu können.“

Bezugsquellen

Domäne Wachau
www.domaene-wachau.at

Geyerhof
www.geyerhof.at

FJ Gritsch Mauritiushof
www.mauristiushof.at

Rudi Pichler
www.rudipichler.at

Erwin Sabathi
www.sabathi.com

Sattlerhof
www.sattlerhof.at