Wein & Wahrheit

Wein & Wahrheiten Über Expertentum, Weinmoden, Ladenhüter und Methoden zur Lebensverlängerung Text: Eva Rossmann · Illustration: Georg Wagenhuber

 Der Gast schwenkt das Glas. Er riecht. Er nickt. Er riecht wieder. Er schwenkt das Glas. Er führt es langsam zum Mund. Setzt wieder ab. Atemlose Spannung bei seinen drei Begleitern. Der Ober versucht sich die Ungeduld…

Wein & Wahrheiten

Über Expertentum, Weinmoden, Ladenhüter und Methoden zur Lebensverlängerung

Text: Eva Rossmann · Illustration: Georg Wagenhuber



Der Gast schwenkt das Glas. Er riecht. Er nickt. Er riecht wieder. Er schwenkt das Glas. Er führt es langsam zum Mund. Setzt wieder ab. Atemlose Spannung bei seinen drei Begleitern. Der Ober versucht sich die Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Das Lokal ist gesteckt voll. Und es könnte gut sein, dass auch andere gern etwas zu trinken hätten. Der Gast hat das Glas unterdessen auf Augenhöhe gehoben, dreht es leicht, beobachtet die rote Flüssigkeit als brächte sie beim richtigen Blick Antwort auf viele, wenn nicht auf alle wesentlichen Fragen. Die Frau neben ihm atmet nun doch aus und nimmt einen Schluck Mineralwasser. Bevor man hier verdurstet … Der Gast würdigt sie keines Blickes, er konzentriert sich aufs Wesentliche, schüttelt bloß beinahe unmerklich den Kopf. Gilt es ihr? Gilt es dem Wein? Der Ober versucht die Rufe vom Nachbartisch zu ignorieren. Der Gast führt das Glas erneut zum Mund. Schmale Lippen, die sich jetzt eine Spur nach außen wölben, quasi um dem Wein entgegenzukommen. Kontakt! Glas und Lippen und Flüssigkeit und Gaumen und leichtes Absetzen des Glases, Wein, der jetzt im Mund, was sage ich, im Kopf, herumgeht, noch einmal geprüft wird, schließlich über den Gaumen, den Zungengrund in den Schlund und unweigerlich danach Richtung Magen darf. Das Glas ist abgestellt. Das Kopfschütteln nun nicht mehr zu übersehen. „Er korkt.“



Der Ober, gut geschult und in Eile, nickt, nimmt die Karaffe. „Pardon. Sie wollen eine andere Flasche? Oder einen anderen Wein?“



Man werde es noch einmal probieren, wird ihm gnädig angedroht. Der Ober flieht hinter die Schank, schenkt sich versteckt einen Schluck ein. Der Wein ist in Ordnung und korken kann er beim besten Willen nicht. Die Flasche hat einen Schraubverschluss. Auch Buchinger kostet. „Achtelweise ausschenken“, sagt er. Die nächste Karaffe wird eilig gefüllt, am Tisch geparkt, diesmal flieht der Ober bevor die Prozedur der Wein-Erhebung starten kann. Vielleicht nicht ganz höflich, aber überlebenswichtig. Wenig später erfährt er: DIESE Flasche passt, der Wein sei so gut, wie man es habe annehmen können.



Der Gast, so haben wir gelernt, hat immer recht. Und wenn es um Wein geht, überhaupt. Weil: Weinexperten und Fußballexperten haben eines gemeinsam. Es gibt mehr von ihnen, als man vermuten möchte, und alle von ihnen wissen es grundsätzlich besser. Außerdem haben die Weine beim Buchinger zumindest einen großen Vorteil: Keiner von ihnen ist so teuer, dass man an einer schnöde zurückgewiesenen Flasche finanziell halb verblutet. Weder Lafites, noch Pomerols, nicht einmal Brunellos oder Barolos werden bei uns angeboten, sondern Weinviertlerisches. Bevor jetzt solche mit Weit- und Durchblick die Nase rümpfen: ICH finde es gibt hervorragende Weinviertler Weine. Auch in Rot. Es lohnt sich, sie zu entdecken. Darüber hinaus existieren eben verschiedene Konzepte von Weinkarten: Die Internationale – die allerdings auch wieder von der sorgsam von einem Sommelier ausgesucht exquisiten bis hin zur vom Weinhändler nach bekannten Namen, Verfügbarkeit, Lagerbeständen und Budget standardisiert zusammengestellten reichen kann. Die Nationale – vor allem für Lokale in Gegenden, in denen kein Wein wächst. Und eben die Regionale. Weil: wenn regionale Speisen, dann auch regionale Weine. Wir – und da meine ich nicht bloß unser Weinviertel, sondern alle Weinbauregionen in Österreich – brauchen uns bekanntlich nicht vor den internationalen Mitbewerbern zu verstecken. Kann sein, dass es kaum wuchtige Rotweine gibt, aber elegant strukturierte haben wir. Und kräftige auch. Seit die jungen Winzer gelernt haben, dass man Trauben ausdünnen, vorlesen, halbieren und auch sonst vieles machen kann, das – anders als bei den chemisch designten Massenweinen aus Übersee – durchaus im Einklang mit der Natur Menge reduziert und Geschmack konzentriert.



Als Buchinger mit seiner Alten Schule 1999 begonnen hat, hat diese regionale Weinkarte selbst Weinjournalisten irritiert. Da koche der so hervorragend, da sei man es doch gewohnt gewesen, bei ihm im Intercont unter den Spitzenkreszenzen Europas wählen zu können und jetzt soll man Weinviertlerisches zu seinem Essen trinken? Buchinger beruft sich auf Frankreich und dass nämlich auch in guten Lokalen ausschließlich lokale Weine angeboten würden. Weil man eben Eindruck und Geschmack der Gegend vermitteln wolle.

Vor kurzem ist er übrigens zum Weinwirt des Jahres gekürt worden. Auch weil er ein Vorkämpfer fürs Regionale war. So ändern sich Moden und Zugänge. Dass es bei uns „nur“ Weine der näheren Umgebung gibt, ist übrigens auch in anderer Hinsicht ein Glück: Sonst würde die Menge an Wein unüberschaubar. Buchinger sammelt gerne. Alles Mögliche und Unmögliche. Und wenn ein Winzer kommt, der Kostbares präsentiert, dann haben wir eine Kiste mehr. Oder fünf Kisten. Käme da noch das Angebot an nationalen und internationalen Weinen dazu, wir würden … schwimmen.



Eine andere Mode oktroyiert, dass Weißweine möglichst jung getrunken werden sollten. Auch ich mag knackige, frische Weine. Aber im Jahr 2011 dann keinen DAC aus 2009 mehr zu wollen, weil er schon „zu alt“ sein könnte, ist schade. Gewisse Weine brauchen Zeit, ihr Potenzial zu entfalten. Ein Riesling 2010 ist ziemlich jung bis zu jung und trotzdem: Viele wollen ihn lieber als den vom Vor- oder gar Vorvorjahr.

Weinbegleitungen zu Menüs sind da ein gewisser – auch erzieherischer – Ausweg. Bloß, Vorsicht: Wehe, wenn jemand den Verdacht äußert, dass hier die „Ladenhüter“ abgetrunken werden sollen … gleich schmeckt so manches lasch, das eigentlich sorgsam ausgesucht worden ist. Wein und Geschmack sind eben ziemlich stimmungsabhängig.

Abgesehen davon: Hin und wieder kann der Verdacht schon gerechtfertigt sein, dass über Weinempfehlungen einiges entsorgt werden soll, was keiner mehr freiwillig bestellt. Ich erinnere mich an eine einigermaßen überteuerte Zusammenstellung internationaler Weine zu einem jener Menüs, die zelebriert werden wollen. Der Chardonnay war mir, ohne dass ich viel sagen wollte, etwas eigenartig vorgekommen. Etwas später frage ich nach der Flasche. Die Antwort des offenherzigen jungen Obers: „Die ist aus, wir haben sie schon weggeschmissen.“ – „Könnten Sie mir eine andere bringen? Ich würde mir gern das Etikett ansehen.“ – „Haben wir leider keine. Den Wein haben wir schon lang nicht mehr auf der Karte.“ Was natürlich verschiedene Ursachen haben kann. 1.) Der Wein war so gut, dass man sich eine Flasche wochenlang für eine ganz besondere Tischrunde, nämlich unsere, aufgehoben hat. 2.) Eine bis ein paar Flaschen sind hängengeblieben und jetzt ist man sie los geworden. 3.) Den Wein hat es im Lokal nie gegeben. Ein Händler hatte eine Kostflasche geparkt.



Natürlich passiert es auch bei uns, dass Weine alt werden. Geheimnisvollerweise entdeckt man in irgendeinem Winkel immer wieder einen mehrjährigen Weißburgunder, einen sehr gereiften Welschriesling oder einen in die Jahre gekommenen Veltliner. Eine Möglichkeit ist selbst trinken. Viele dieser Weine sind besser als man glaubt. Eine andere: verkochen.



Aber: Haben wir nicht gelernt, dass nur der beste Wein auch ins Essen kommen sollte? Und gar in einem Spitzenlokal? Ich weiß nur, dass sich übertrieben gereifte Weiß- und Rotweine hervorragend zum Kochen eignen können. Dann nämlich, wenn sie Säure abgebaut haben. Unsere beste Wein&Brot-Suppe gelingt mit kräftigem Veltliner, der seine beste Trinkphase schon hinter sich hat. Manchmal suchen wir richtiggehend danach. Man muss es ja nicht so machen wie die Blonde auf einem meiner Lieblingsmagnetsticker, die in der Küche steht, ein Glas schwenkt, und sagt: „Ich liebe es, mit Wein zu kochen. Manchmal gebe ich ihn sogar ins Essen.“ Ganz abgesehen davon, dass das berühmte „Kochachterl“ in einer Profiküche keinen Platz haben darf. Das hat allerdings weniger mit Moralischem als mit der besser vollen Konzentration zu tun.



Und noch etwas: Rotwein, der tatsächlich korkt, wird zwar ohnehin – siehe oben – immer seltener. Für Rotweinsauce und Braten mit Rotwein eignet er sich hervorragend. Der Korkgeschmack verflüchtigt sich schon nach ein paar Minuten Kochen. Rotwein kann ja überhaupt mehr als der gemeine Trinker annehmen möchte. Für meinen neuesten Krimi habe ich auch über Methoden zur Lebensverlängerung recherchiert. Und bin auf den spannenden Stoff Resveratrol gestoßen. Er erzeugt, so haben Genetiker nachgewiesen, das French Paradoxon: Franzosen essen erwiesenermaßen viel und auch üppig, trotzdem ist ihre Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen relativ niedrig – und das steigert ihre mittlere Lebenserwartung. Dieses Resveratrol verändert die Aktivität gewisser Proteine. Dadurch können Zellen weniger rasch altern. Dem Körper wird eine Kalorienrestriktion vorgetäuscht, die Zellen nehmen dann sozusagen alle Kraft zusammen, um zu überleben, statt Fett anzusetzen, wird in Muskelwachstum und in Aktivitätsdrang investiert. Kein Wunder, dass internationale Pharmakonzerne zurzeit an resveratrolähnlichen Substanzen forschen, um gleich zwei Träume zu erfüllen: Den der Menschheit nach längerem Leben. Den ihrer Bosse nach Riesengewinnen. Ich halte mich vorerst lieber ans Naturprodukt. Dumm nur, dass übertriebener Rotwein-Genuss auch andere, nicht so positive Folgen haben soll …



Wenn sich das mit dem Resveratrol herumspricht, könnte es neben neuen Ausreden für ein nächstes Glaserl Wein auch interessante neue Weinnamen geben. Die Suche nach „dem“ Namen für den ganz besonderen Wein treibt die Winzer ja schon jetzt um und manchmal eigenartigen Blüten. „Resi“ für Resveratrol könnte ich anbieten, „Vera“ ginge auch, aber da fällt anderen sicher noch Besseres ein. Bis hin zur „Love-Maschine“ haben wir schon alles gesehen …



Wobei unsere Weine ohne unsere Winzer eben nur die halbe Sache wären. Das gehört zum Schönsten, wenn man in einer Weingegend lebt und kocht: Wir erleben Jahrgänge, aber auch Menschen und ihre Entwicklung. Else und Peter haben inzwischen nicht nur zwei Kinder, sondern ihr Riesling hat heuer als Landessieger selbst die Wachauer Rieslinge auf die Plätze verwiesen. Ein anderer Winzer, der wie so einige bei uns gerne einen Stopp einlegt, wenn er von einer anstrengenden Verkaufstour zurückkommt, hatte vor einiger Zeit einen Herzinfarkt. Offenbar hat ihm ein gewisses Getränk doch keine Flügel verliehen. Jetzt ist Schuckert Senior wieder da und wir freuen uns, ihn zu sehen. Tom, der übrigens hervorragende Rotweine macht, heiratet nächstes Jahr und es wird quasi eine Mega-Wein-Hochzeit. Denn auch der Schwager ist Winzer. Und Schwägerin Sabine ist von der gelernten Kindergärtnerin zur vielumschwärmten Heurigenwirtin geworden – gewisse gemeinsame Grundvoraussetzungen könnte es ja geben. Matthias ist erst zwanzig, aber übernimmt schon jetzt immer mehr das Weinmachen. Er hat es an guten Schulen und guten Plätzen gelernt. Und die Erfahrung seines Vaters hilft schon auch. Jedenfalls: Seine ersten Weine bringen nicht wenige zum Staunen.



Es ist einer meiner gastronomischen Träume: Wir verzichten immer mehr auf eine vorgefertigte Weinkarte, statt dessen ist einer unserer Lieblingswinzer da und erzählt den Gästen, wie seine Weine entstehen. Gemeinsam überlegt man, zu welchen Speisen welcher Wein passt. Quasi nicht Wein zum Essen, sondern Winzer beim Essen. Im Wein läge die Wahrheit, heißt es in einem viel zitierten Spruch. Ob man sie so findet, ob man sie überhaupt finden kann, weiß ich nicht. Lieber kosten und genießen. Den Nuancen, dem vollen Aroma auf der Spur …



Eva Rossmann arbeitete als Journalistin, ehe sie mit den Mira-Valensky-Krimis zur Bestsellerautorin wurde. Daneben moderiert sie hin und wieder die ORF-Diskussionssendung Club 2 und arbeitet als Köchin in Manfred Buchingers Gasthaus Zur Alten Schule, von wo sie für A la Carte regelmäßig aus dem Küchenalltag berichtet.