Weinrarität im Weltmaßstab

Unsere kleine Madeira-Verkostung – nicht einmal 30 Weine – hat uns drastisch vor Augen geführt: Da sind absolute Spitzenweine darunter, und das nicht nur bei den Steinalten.

Weinrarität im Weltmaßstab

Text von Michael Prónay Foto: Alexi Pelekanos
Gehört hat wohl jeder schon von Madeira, und sei es auch nur im Zusammenhang mit dem Begriff "madeirisiert", der Weine bezeichnet, die eigentlich schon überaltert und oxidiert sind.

Madeira, der Wein von der Insel im Atlantik, politisch zu Portugal ressortierend, hat schon seit Jahrhunderten einen ganz besonderen Ruf. Auf die Unterzeichnung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung anno 1776 wurde mit Madeira angestoßen.
Angesichts eines solchen Rufs würde man annehmen, dass da wohl gewaltige Mengen im Spiel sind und Madeira möglicherweise ähnliche Absatzprobleme hätte wie Sherry, ebenfalls ein gespriteter (mit Alkohol versetzter) Wein. Wenn man aber hört, dass die gesamte Rebfläche Madeiras gerade eben 500 Hektar beträgt – allein Wien hat 700! –, dann ist man umso mehr über den Weltruf erstaunt, den diese Weine (mit Recht!) genießen.
Madeira hat einen Alkoholgehalt von 17 bis 20%, und es gibt ihn in vier Geschmacksrichtungen trocken (dry, 18 bis 65 g/l Restzucker), halbtrocken (medium dry, 49 bis 78 g/l), halbsüß (medium sweet, medium rich, 78 bis 96 g/l) und süß (sweet, rich, 96 bis 135 g/l). Die Restzuckergrenzen decken sich nicht mit jenen, die EU-weit für ungespritete stille (nicht sprudelnde) Weine vorgeschrieben sind, und sie sind offenbar auch seit einigen Jahren nicht mehr in Kraft. Die nunmehrigen Süßegrade werden in Baumé-Graden ausgedrückt (1 °Bé entspricht 1% potentiellem Alkohol); diese beziehen aber sowohl den vergorenen wie den zugesetzten Alkohol mit ein, was den Informationswert (für den Weinfreund, nicht für den Madeira-Kellermeister) beträchtlich reduziert.
Es genügt zu sagen, dass trockene Madeiras nicht staubtrocken sind und selbst süße längst nicht so süß auftreten wie Portweine, süße Sherrys oder gar Pedro-Ximenez-Sherry. Die Säure – vermutlich analytisch die höchste unter den Weinen dieser Welt – balanciert das alles auf das Trefflichste.
Die Rebsorten
Wenn auf einem Madeiraetikett Sercial, Verdelho, Bual/Boal oder Malmsey/Malvasia draufsteht, dann muss der Wein nicht nur zur Gänze aus einer dieser vier Sorten gemacht sein, er muss auch dem Süßegrad in der Reihenfolge von trocken bis süß entsprechen. Diese vier Sorten gemeinsam – die Raritäten Terrantez und Bastardo seien am Rande erwähnt – machen allerdings nicht einmal zehn Prozent der Rebfläche aus. Den Rest nimmt eine Sorte ein, die Tinta Negra Mole (TNM) heißt und aus der alle anderen Madeiras gemacht werden. Ein einzigartiges Kuriosum ist die Tatsache, dass Sercial & Co. weiße Reben sind, die TNM hingegen eine Rotweintraube. Das Resultat ist aber in jedem Fall ein Wein, dessen Farbe alle Schattierungen von braun umfasst (also ein Weißwein).
Gelesen werden die Trauben Anfang September, physiologisch reif trotz relativ geringem Zuckergehalt (14 bis 15 °KMW). Die Säurewerte liegen allerdings hoch. Vergoren wird klassisch, die Gärung wird aber je nach gewünschtem Zuckerrest durch Beigabe von Alkohol gestoppt.Danach kommt das Besondere an Madeira: Mindestens drei Monate lang werden die Weine erwärmt ("estufa"), sei es mit Heizschlangen in den Tanks, durch Heizen der Lagerräume oder durch Lagern der Fässer am Dachboden, wo sie der natürlichen Hitze ausgesetzt sind. Letzteres ist traditionell die hochwertigste Methode und nur den besten Weinen vorbehalten, allerdings hat man inzwischen auch durch Verfeinerung der Heizschlangenmethode hervorragende Ergebnisse erzielt. Die Erwärmung führt zu der charakteristischen Karamelltönung der Weine.
Die Typen
Jeder Madeira muss mindestens drei Jahre alt sein, ab Ende der Estufa gerechnet. "Reserve" muss mindestens 5 Jahre am Buckel haben ("Old Reserve" 10). Damit sind wir bei den "Dated Madeiras" mit Altersangabe: 5, 10 und 15 Years Old. Es gibt sie entweder mit Angabe einer der vier Sorten oder auf TNM-Basis mit Süßeangabe (in unserer Verkostung sind beide Typen vertreten).
Relativ neu auf dem Markt sind Colheita-Weine, also Weine mit Jahrgangsangabe. Bis Ende des 20. Jahrhunderts war der Jahrgang ausschließlich den klassischen Vintages vorbehalten, die ein 20-Jahre-Fasslager-Minumim aufweisen mussten. Colheitas werden jünger gefüllt, Minimum ist 5 Jahre Fass. Offizieller Start war mit dem Jahrgang 1994, ab 1995 gibt’s dann viele.
Madeira im Glas
Bei Madeira ist so ziemlich alles anders als bei anderen Weinen. Es sind die einzigen Weine, die auch bei den Produzenten stehend gelagert werden. Sauerstoffdurchlässige Korken schaden überhaupt nicht, denn die Oxidation haben die Weine längst hinter sich. Das führt auch dazu, dass die (praktisch durchgängig mit Griffkorken verschlossenen) Flaschen im Anbruch ewig haltbar sind. Vor sechs Jahren hatte ich Gelegenheit, der Insel einen Besuch abzustatten. Ich bekam einen 1795 Terrantez zu verkosten, der war aus einer Flasche, die neun Jahre offen war – geschmeckt hat der Wein hundert Jahre jünger.
Wer mehr über Madeira wissen will: Die mit Abstand informativste Seite im Web ist www.madeirawineguide.com, von einem Deutschen in englischer Sprache erstellt und absolut empfehlenswert.ꆱ

Die besten Madeiras

97 Barbeito Verdelho 10 Years Old Reserve
19%, Wirth € 44,80
Ungemein dicht, Trockenfrüchte, Datteln, harzig, wiederum ganz zart ins Trocken-Oloroso-Hafte gehend; explodiert förmlich vor Frucht, wunderschöne Balance von Säure und dezenter Süße, ungemein dicht und tief, überaus lebendige Säure, herrlicher Stoff.

97 1996 Justino’s Colheita Fine Rich
19%, Derksen € 26,50
Klare, dichte, sehr inseltypische Nase, dicht, tief und fein; herrlich saftig, ungemein elegant, alles feinst verwoben, Gerbstoff, Süße und Säure perfekt balanciert, nach hinten zu herrlich lang, passt perfekt zur Schokolade oder zur Paté, ganz ausgezeichnet, Superstoff.

97 1954 Justino’s Verdelho Medium Dry 19%, Derksen € 535,–
Eher diskret in der Anlage, braucht definitiv Luft, Schwarztee, Kandiszucker, Liebstöckel, ganz und gar Madeira-typisch, geht buchstäblich wunderschön auf, Kaffee, tiefe, feine Röstaromatik; herrlicher Tiefgang, komplex, vielschichtig, grüne Nüsse, kernige Säure, aber alles in perfekter Balance, kräuterig, Schwarztee, unglaublich lang, sehr trocken ausklingend.

97 D’Oliveiras Aged 15 Years Medium Sweet 19%, Wirth € 63,40
Leuchtendes Bernsteinbraun mit fast grünem Rand; zuerst eine zarte Schärfe, die mit Luft einer wunderschönen Tiefe weicht, wird immer schöner; herrliche Süße, auch reifes Steinobst, feine Nuss, wunderschön dicht und konzentriert, großer Stoff.

96 Barbeito Malvasia 10 Years Old Reserve 19%, Wirth € 44,80
Erstaunlich helles Bernstein; sehr eigenwillig, Zitronenpfeffer und Orangenzesten, auch Kardamom, Sandelholz, harzig, vielschichtig, aber keine Süße andeutend; feine, elegante Frucht, süßemäßig eindeutig in die halbtrockene Verdelho-Richtung gehend, dazu feine Exotik und brillante Länge.

96 Henriques & Henriques 15 Years Old Malmsey 20%, Kuranda € 30,– (0,5 l)
Wunderschön reif und saftig, herrlich dicht und komplex, eher traditionell in der Anlage, wunderbare Würze, herrlich klar und saftig, Grießkoch, mehr Würze und Kräuter, Schoko und Thymian, ganz toller Stoff.

96 Justino’s Boal 10 Years Old Medium Sweet 19%, Derksen € 24,–
Unglaubliches "Trenzpotential", fördert schon beim Hineinriechen den Speichenfluss, Zitronenthymian und Dörrzwetscheln, auch ein Hauch Powidl und Speck, dazu frisch geriebener Pfeffer, ätherisch, zum Eingraben schön; herrlich saftig, wunderschöner Glanz, unaufdringliche Süße, fleischig, ganz toller Stoff, Super-PLV.

95 Barbeito Sercial 10 Years Old Reserve 19%, Wirth € 44,80
Wunderschöner Tiefgang, feine Exotik, wiederum der ins zart Sherryhafte gehende Ton der Sorte, auch Trockenfrüchte; klare, feine, pikante Würze, herrlich saftiger Stoff, ganz trocken, dabei ungemein dicht und elegant.

95 Justino’s Fine Rich 5 Years Old 19%, Derksen € 12,–
Wunderschön tief, unglaublich dicht, ausufernde Kräuterwürze, schon in der Nase ein Wow-Erlebnis; Bratenwürze, herrlich klar und saftig, passt perfekt zum Braten mit Fruchtsauce, unglaublich dicht und fein, die zarte Süße perfekt integriert, Pfirsich, Honigmelone, ganz toller Stoff, PLV zum Niederknien!

95 Justino’s Old Reserve Fine Rich 10 Years Old 19%, Derksen € 19,90
Wunderschön klare, ganz und gar saftig-klassische Madeiranase, Orangen, Pfirsich, Melonen und Mandeln, ein Hauch schlanker beginnend als der 5-jährige, wunderschön distinguierte Aromatik, Jod, Meeresbrise, Algen, elegant, ein Fred Astaire von einem Wein.

95 1998 Justino’s Colheita Fine Rich 19%, Derksen € 24,50
Wuinderschön klar und klassisch, dabei dicht, jodig, salzig, Meeresluft,; ganz und gar klassische Madeira-Moderne, ungemein fein, Schokolade, auch ein Hauch Kautschuk, tief und saftig, herrliche Balance, ganz toll.

Weitere Medeira-Weine

Trocken
94 Justino’s Old Reserve Fine Dry 10 Years Old 19%, Derksen € 19,90
Rotgold; herrliche Nase, wunderschön tief, Zitrus, Mandarinen, Orangenzesten, pikante Grünwürze, ganz fein ätherisch, Madeira pur; Hauch Estragon, Mango, wunderschön komplex, Steinpilze, zarter Gerbstoff, der Zucker perfekt eingebunden, großer Stoff.
93 Blandy’s 5 Years Old Sercial
19%, Müller € 21,99 Dezente Hefearomatik und feine Reife, wie ein Hauch von Ahornsirup, auch etwas Jod und Teer; vollmundig, lebendige Säure, ganz zart angedeutete Süße, salzig im Ausklang, sehr fein.
92 Henriques & Henriques 10 Years Old Sercial 20%, Kuranda € 22,20 (0,5 l)
Eigenwillig gerüchig, flüchtige Säure, vergeht aber, etwas lackig, zart spritig; herzhaft und straff, geradlinig, kernige Säure, fast ein wenig mineralisch, Schiefer und Kalk, auch ein Hauch Bitterschoko, sehr individuell, aber auch sortentypisch.
91 Henriques & Henriques Monte Seco Extra Dry Aperitif19%, St. Stephan
€ 17,20
Helles Gold; Weiche Fülle, dezente kontrollierte Oxidation, feines Holz, sehr walnussig, kandierte Früchte und Grapefruit; am Gaumen kommt dann eine feine Süße, tolle Säure, ungemein harmonisch; im Gegensatz zu anderen Madeiras, die mit Rotweintemperatur
serviert werden, kann dieser ruhig aus dem Kühlschrank kommen.
89 Justino’s Fine Dry 5 Years Old
19%, Derksen € 12,–
Rotgold; wunderschön klare, ganz klassische Madeiranase, dahinter ein Hauch von Schwammerln; feiner Trockenbiss, schöne Säure, sehr herzhaft, kräftiger Gerbstoff, aber dennoch sehr fein.
89 Justino’s Fine Dry
19%, Derksen € 5,– (0,375 l)
Bernstein; Kletzenbrot, eingelegte Früchte, auch etwas getrocknete Schwammerl; nussig, zart gerbstoffig, sehr sauber und gut gemacht, ganz trocken wirkend, sehr fein.
Halbtrocken
94 Henriques & Henriques 10 Years Old Verdelho
20%, Kuranda € 22,20 (0,5 l)
Herrlich straffe, dichte, wunderschön ziselierte Nase, Keffee- und Röstnoten, in dunkle Schokolade eingebettet; herrlicher Stoff, wunderschöne Balance, Kräuterwürze, Lorbeerlaub, Säure, unglaubliche Länge, ganz toller Stoff.
92 Blandy’s 5 Years Old Verdelho
19%, Müller € 21,99
Leaton und ein Hauch von Ahornsirup, süß-nussig, Cashew-Kerne, feine Würze, auch Kräuter; sehr dezente zarte Süße, wiederum sehr nussig, auch knackige Säure, straff und trocken ausklingend.
92 D’Oliveiras Aged 15 Years Medium Dry
19%, Wirth € 63,40
Rinnt schon dezent ölig ins Glas; reife, dichte, dezent nussige Frucht, Rosinen, Walnüsse, Lebkuchen, durchaus weihnachtlich, Anis und Ingwer; feine, üppige, konzentrierte Frucht, wiederum straffe Säure, die Süße dadurch voll balanciert, jugendlich und sehr individuell.
90 Justino’s Fine Medium Dry
19%, Derksen € 8,50
Zuerst angebranntes Grießkoch, geht dann aber sehr eindeutig auf, Schoko und Orangenzesten, Walnussblätter, auch jodig; elegant und feine Süße, schönes Gerbstoffgerüst, tolles PLV.
Halbsüss
94 Blandy’s 5 Years Old Bual
19%, Müller € 21,99
Wunderschöne feine, dichte, tiefe Nase, buchstäblich zum Eingraben schön, ungemein harmonisch nussig und rosinig, auch Akazien und Trockenfrüchte; wunderbar klare, ruhig strömende, feine Frucht, sehr dezente Süße, hochelegant, feiner Trinkfluss, elegische Schönheit.
94 Henriques & Henriques 10 Years Old Bual
20%, Kuranda, St. Stephan € 22,20 (0,5 l)
Feine Röstaromatik, Kaffee, Schoko, Aranzini, auch der Alkohol ist spürbar; ungemein elegant, kandierte Zitrusfrüchte, Orangenzesten, sehr dezenter Zuckerrest, hinten trocken, herrlicher Biss, perfekt zu Entenbrust mit Rotkraut und Maroni, ganz und gar klassisch, wird immer besser.
89 Barbeito Boal 10 Years Old Reserve 19%, Wirth € 44,80
Zart trüb im Glas; gewisse spritige Schärfe, dazu nussig, auch rosinig, mit Luft kommt der Tiefgang; dichte, dunkelfruchtige Würze, sehr dezent angelegte Süße, recht eigenwillig.
Süss
93 Blandy’s 5 Years Old Malmsey
19%, Müller € 21,99
Wunderschön klare, feine, dichte, überaus madeiratypische Nase, der Alkohol ist spürbar, stört aber nicht; wunderschöne elegante, dichte, Süße, gepaart mit feiner Dunkelfruchtwürze, ausgesprochen komplett, dabei sogar feingliedrig.
93 1995 Justino’s Colheita Sweet
19%, Derksen € 32,–
Ungemein würzige Dichte, saftig und dicht, ein Hauch holpriger als der 96er, aber dennoch wunderschön definiert; feiner Fokus, dezenter Gerbstoff, ganz klar und dicht, toller Stoff, sehr fein.
90 Cossart Gordon Good Company Full Rich
19%, Wein & Co € 15,99
Bratapfel pur, sehr traditioneller Stil, füllig und dicht; feine Fülle, schöner Stoff, etwas Kaffee-Röstaromatik, auch Schoko, schöne Süße, Krokant, Blätterteig, Apfelstrudel, in seiner Art sehr schön.
90 Justino’s Rich Sweet
19%, Derksen € 5,– (0,375 l) Feine, durchaus elegante Nase, Schoko und Zitrus; dunkle Orangenmarmelade, Hauch Rosinen, ätherisch würzig, auch Estragon, Thymian und Lorbeer; feine Fülle, kreidig-mineralisch, schöner Biss, sehr ordentlich gemacht, sehr gutes PLV.
88 Henriques & Henriques
10 Years Old Malmsey
20%, Kuranda € 22,20 (0,5 l)
Eigenwillig, beginnt wie Kork, bessert sich aber mit Luft ganz, dann flüchtige Säure, pilzig, auch erdig-torfig; Spitzwegerich (Hustensaft), auch etwas Schoko, aber irgendwie diffus, wenn auch auf hohem Niveau.