Wie bitter soll es sein?

Tonic Water – die Bitterlimonade mit medizinischem Hintergrund fristete über Jahrzehnte hinweg das Nischendasein forcierter Unattraktivität. Mit dem Gin-Boom wurde aber auch der vormalige „Filler“ zum Star.

Text von Florian Holzer/Fotos: Getty Images, Hersteller

Wussten Sie, dass Tonic Water ursprünglich ein medizinisches Produkt war, das britischen Kolonialtruppen zur Malaria-Prophylaxe verordnet wurde? Und dass die Soldaten, weil das Zeug so schrecklich bitter schmeckte, es halt mit dem mischten, wovon sie reichlich hatten, was billig und zumindest nicht bitter war – Gin nämlich.

Und wussten Sie, dass Tonic Water unter Bestrahlung mit UV-Licht im Dunkeln leuchtet? Dass das aber wahrscheinlich nicht der Grund für den Siegeszug des Gin Tonic in der ­aktuellen Spätgastronomieszene ist?

Oder war Ihnen bekannt, dass die ­essenzielle Substanz von Tonic Water, das aus der Chinarinde gewonnene Chinin, nicht nur fiebersenkend, schmerzstillend und krampflösend wirkt, sondern auch Schwindel, Übelkeit und Tinnitus hervorrufen und in einer Dosierung von fünf bis zehn Gramm für einen Erwachsenen sogar tödlich sein kann? Also toxic Tonic? (Wobei: Da in Tonic Water maximal 85 mg Chinin pro Liter enthalten sein dürfen, müsste man also mindestens 59 Liter Tonic Water trinken.)

Und jetzt kommt’s: Wussten Sie, dass Jacob Schweppe eigentlich Uhrmacher in Genf war? Also, wer hat’s erfunden?

Die Geschichte des Tonic Water könnte tatsächlich von einem Hollywood-Drehbuchautor stammen, so facettenreich und spektakulär verlief sie. Der in Deutschland ­geborene, aber in Genf tätige Silberschmied und Uhrmacher Jacob Schweppe entwickelte um 1780 ein Verfahren, um Wasser mit Kohlensäure zu versetzen, auch das vor allem für medizinische Zwecke. Dass prickelndes Wasser abgesehen davon auch einen ganz besonderen sinnlichen Reiz hat, muss heute nicht mehr erläutert werden.

Schweppe gründete mit Partnern eine Fabrik und schließlich sogar eine Niederlassung in London, wo das Unternehmen zehn Jahre nach seinem Tod zum Hoflieferanten ernannt wurde. Allerdings ging es damals immer noch um reines Sprudelwasser. Das änderte sich 1858, als britische und andere Kolonialtruppen angehalten waren, zur Malaria-Prophylaxe Chinin-Tabletten zu schlucken, was als lästig und nicht gerade wohlschmeckend empfunden wurde. Deshalb machte das Unternehmen Schweppes ein Geschäftsmodell daraus, einerseits die Einnahme der Tabletten mit Zitronensaft und Soda zu empfehlen, andererseits für die britischen Truppen in Indien überhaupt gleich eine chininhältige Limonade zu entwickeln, das „Indian Tonic Water“.

Die fiebersenkende und krampflösende Wirkung der Chinarinde hatten Anfang des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich schon Indianer in ­Kolumbien und Bolivien entdeckt. Die Jesuiten erkannten einen interessanten Markt darin und sicherten sich bald das Monopol auf den Handel. Das Pharmazeutikum galt allerdings lange als ­umstritten. Erst im 18. Jahrhundert zählte es zur medizinischen Standardausstattung der Kolonialarmeen, und zwar als einzige zur Verfügung stehende Therapie gegen Malaria. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Chinin schließlich synthetisiert und das Tonic Water somit auf seine Rolle als Erfrischungsgetränk oder Zutat für Cocktails festgelegt. Tonic Water war fortan keine Medizin mehr, sondern ein „Filler“.

Farblos und bitter, das waren allerdings nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Limonadenkarriere im 20. Jahrhundert. Die Fläschchen mit Tonic Water, Indian Tonic Water, Bitter Lemon und Ginger Ale rückten in den Kühlregalen immer weiter nach hinten. Gerade einmal die Barkeeper hatten ein paar davon in der Lade, für einen Highball namens Gin Tonic, den außer ein paar Fans der legen­dären Queen Mum aber eigentlich auch kaum mehr wer trinken wollte.

Der Rest ist Geschichte: Zuerst kam vor 15 Jahren der Gin ganz groß raus und mit ihm zwangsläufig das Tonic Water. Schweppes, dessen Vertriebsrechte auf der ganzen Welt in unterschiedlichsten Händen liegen, darunter sowohl Coca-Cola als auch die Blackstone-Investmentgruppe (in Österreich und Deutschland liegt der Vertrieb in Händen der Brauerei Krombacher), erfuhr einen Absatz-Boost, aber auch andere Marken tauchten plötzlich auf: Fever Tree, zum Beispiel, 2003 vom Londoner Marketingmanager Tim Warrilow und Charles Rolls, dem früheren Manager einer Gin-Marke, gegründet. Sie dachten sich: Die Gins überbieten sich in Vielfalt, Individualität und Qualität der Zutaten, gemixt werden sie aber immer mit der gleichen Bitterlimonade, da sollte man einhaken. Natürliche Zutaten, weniger Zucker, gutes Marketing und eine Empfehlung von Ferran Adrià – der Erfolg war unglaublich. In England hält Fever Tree mit seinen durchaus nicht billigen Tonics 39 % des Marktanteils, wie das Handelsblatt im vergangenen Jahr berichtete. Seit dem Börsegang 2014 hat sich der Wert des Bitterlimonadenabfüllers versiebenundzwanzigfacht und steht derzeit bei etwa vier Milliarden Euro.

Zusammengefasst: Da tut sich was. Auch in Österreich, zumindest ein bisschen was. 2015 starteten der Salzburger Gastronom Roland ­Gruber und der Werbe-Unternehmer Christoph Humer ihr Projekt Lobsters mit dem Ziel, ein zuckerreduziertes Tonic Water mit Zutaten herzustellen, bei denen zumindest am Anfang eine ­natürliche Zutat stand. Abgefüllt wird bei einem oberösterreichischen Limonadenabfüller, und zwar immerhin 300.000 bis 400.000 Flaschen pro Jahr, von denen nicht weniger als 100.000 in die Niederlande gehen. „Dort ist man es gewohnt, Limonaden, Softdrinks und auch Filler mit geringerem Zuckergehalt zu trinken.“

Schon vor zehn Jahren begann die Göttlesbrunner Winzerin Birgit Wiederstein damit, an einer Tonic-Rezeptur zu tüfteln. Hintergrund dafür war der Umstand, dass ihre Mutter als Schnapsbrennerin drei verschiedene Gins herstellte und die damals handelsüblichen Tonics von den beiden Frauen nicht als geeignete Partner dafür erachtet wurden. Zwei Jahre probierte sie, erzählt Birgit Wiederstein. Ziel war auch bei ihren Experimenten, mit weniger Zucker auszukommen, „weil das muss ja nicht schmecken wie bei der Kinderjause“. Und weil ihr das handelsübliche Aroma-Chinin viel zu medizinisch-metallisch schmeckte, beschloss sie, ihr Stonic mit natürlicher Chinarinde zu verbittern. Womit sie zwar nicht an das Bitter-Niveau klassischer Tonic Water herankommt, „aber dafür hab ich eine spannende Aroma-Brücke zu den Gins“. Kardamom, Piment und schwarzer Pfeffer sind auch noch drin. Vor zwei Jahren wurde der Zitronensaft durch selbst gemachten Verjus ersetzt, Zitronensäure sorgt für Stabilität und ein zitroniges Säuregerüst.

Auch sehr früh am Brauen von DIY-Tonics war Barkeeper Hubert Peter. Seit Eröffnung seiner ­exzentrischen Bar namens Bruder habe er dafür aber keine Kapazitäten mehr, erzählt er, „die 200 verschiedenen Ansätze und Sirupe, die wir im ­Keller stehen haben, sind Arbeit genug“. Sehr wohl die Mühe machen sich Sammy Walfisch und Marcel Katzer von der jungen Bar Moby Dick, und zwar aus einer (noch) eher ungewöhnlichen Motiva­tionslage heraus: Sie wollen ihre Bar so nachhaltig wie möglich betreiben, also Transportwege, Lagerraum, Kühlenergie und vor allem Altglas ver­meiden. Weshalb die beiden ihr Tonic ­Water nach ihrer persönlichen Rezeptur bei einem Abfüller in 25-Liter-Tanks füllen lassen. Das Besondere daran: Neben Chinin sorgt hier auch ­Enzianwurzel für ein erfreuliches Bitter-Niveau, und Zitronensaft gibt dem Ganzen eine ungewöhnlich frische Note. Ganz wichtig sei aber vor allem der hohe Kohlensäuredruck, der mache die Sache frisch und lebendig. Womit wir ja wieder bei der Erfindung des Jacob Schweppe wären.

Bitter ist nicht bitter.

15 Tonics im Vergleich

Aqua Monaco Tonic Water
230 ml, 8,4 % Zucker
9/10
Mit dieser hippen Bitter­limonade aus München ­arbeiten die Bar­keeper ­derzeit gerne. Intensiver ­Bitterzitronenton, duftet fast wie ungesüßter Limoncello; schöne, fruchtig-­herbe Bitternoten, lang ­anhaltend, sehr intensives, authentisch wirkendes Zi­trusaroma. Starker Partner.

Fever-Tree Premium Indian Tonic Water
200 ml, 7,1 % Zucker
8/10
Der Geschmack eines Booms: Duft von Zitronensaft und Limettenschale, erinnert an klassisches ­italienisches Zitroneneis. Schön bitter, dadurch strukturiert und ein ­würdiger Partner für Gin.

Fentimans Premium Indian Tonic Water
125 ml, 4,9 % Zucker
7/10
Die Stilikone unter den ­Tonics: riecht schon bitter, nach Zitronenschalen, ein bisschen „nostalgisch“, ­erinnert an italienische ­Bitterlimonaden, Brausepulver, angenehm belebend bitter.

Royal Bliss Yuzu Taste Sensation
200 ml, 8,7 % Zucker
7/10
Italienisches Tonic Water mit explizitem Bling-Bling-Faktor. Überraschend ­dezent im Aroma, ganz leichter, sehr attraktiver Yuzu-Ton, tatsächlich aber vehemente Bitterorangennoten, hinter denen der hohe Zuckergehalt nahezu verschwindet. Und: keine Gold-Flocken.

Moby Dick
25.000 ml
7/10
Ein mehr oder weniger „handgemachtes“ Tonic aus einer der jungen und angesagten Bars in Wien: viel Zitrone, viel Chinin, etwas Enzian für eine zweite Bitter-Komponente und viel Kohlensäure. Das Ergebnis ist ein überraschend ­klassisches, aber erfreulich frisch wirkendes Tonic. ­Leider nur vor Ort im
25-Liter-Fass erhältlich.

Fentimans Botanical Tonic Water
125 ml, 7,6 % Zucker
6/10
Kaum ein Tonic-Water-­Abfüller bietet so viele verschiedene Varianten wie der traditionsreiche Ginger-Beer-Brauer aus Hexham, Northumberland: Limonade mit Heu, Trockenkräuter­aromen, angenehm kernige Bitternoten, erinnert ein bisschen an Pfirsich. Aber man fragt sich: Soll sich das Tonic Water in die Botanical-Angelegenheiten des Gins einmischen?

Wiederstein Stonic
330 ml, 6,4 % Zucker
6/10
Handgestrickt und explosiv: Die Winzerin Birgit ­Wiederstein verwendet ­Verjus, Kräuter, Chinarinde und wenig Zucker, wunderbar. Leider explodierte die Flasche und ergoss sich über die Tastatur, das gibt Abzüge. Lebendige Verjus-Note, leichte Apfelsaft-­Anklänge, kaum bitter.

Schweppes Indian Tonic Water
200 ml, 8,9 % Zucker
6/10
So klassisch, dass es schon wieder gut ist. Nicht fein, nicht delikat, nicht komplex, einfach bitter und mit künstlich wirkendem ­Zitrusaroma und dann gleich noch einmal bitter. Aber: guter Partner für Gordon’s und Beefeater.

Fentimans Pink Grapefruit Tonic Water
125 ml, 7,7 % Zucker
5/10
Die Farbe mag vorerst ein ­wenig abschrecken, denn man weiß ja: Was rosa aussieht, schmeckt oft auch rosa. Hier aber: Nur zartes Rosa in der Farbe, neutral im Duft, ganz zarte Grapefruit-Frucht und -Bittere im Abgang. Da hätte man sich irgendwie die etwas vehementere Variante erwarten können, das ist ­Bitter für Babys.

Royal Bliss Creative Tonic Water
200 ml, 8,7 % Zucker
5/10
Der Versuch, klassisch zu schmecken: Sehr italienisch, sehr Limoncello mit leicht artifizieller Note. ­Konkret riecht und schmeckt dieses Tonic ­Water ein bisschen wie ­Urlaub mit den Eltern, der Zucker ist aber schon recht deutlich merkbar, die ­Bitternoten halten sich ­dezent zurück.

Lobsters Tonic Water
200 ml, 5,2 % Zucker
4/10
Ein Salzburger Versuch, dem Tonic eine lokale Komponente zu verleihen: Brausepulver, leichter Medizinalton, wenig Aroma, vergleichsweise „mild“. Kommt gegen einen ­aro­matischen Gin wohl nur schwer an.

Thomas Henry Tonic Water
200 ml, 9,3 % Zucker
4/10
Das Basismodell der hippen Bitterlimonadenbrauer aus Berlin: Eher süß als ­bitter, das geht schon sehr in Richtung klassischer ­Erfrischungslimonade.

Thomas Henry Elderflower Tonic
200 ml, 9,3 % Zucker
2/10
Wenn man der Mode verpflichtet ist, muss man eben modische Dinge tun: wirkt recht artifiziell. Eine Art Energydrink-Tonic mit ­einem recht auffälligen Holunderblüten­aroma. Gut für wagemutige Mixer.

Thomas Henry Cherry Blossom Tonic
200 ml, 9,3 % Zucker
1/10
Eine eigenwillige rosa­farbene Interpretation des Tonic-Themas. Aroma-­Assoziationen nach ­Piemont-Kirsche mit ­auf­gebissenem Kern und Amarena-Eis. Versierte Barkeeper finden sicher ein passendes Rezept dafür.