Wie viel ist guter Wein wert?

100 Euro für einen Riesling Unendlich, 70 Euro für eine Flasche Salzberg. Sind teure Weine automatisch auch besser als ihre preiswerteren Kollegen? Welchen Einfluss hat der Preis auf das Kaufverhalten beim Winzer, im Weinhandel und in der Gastronomie? Erstaunlicherweise hat kein Anbieter ein Problem mit hohen Preisen, ganz im Gegenteil: Man begrüßt diese sogar, und das mit durchaus guten Gründen.

Wieviel ist guter Wein wert?

Text: Michael Prónay · Fotos: Ingo Pertramer

Zeiten ändern sich und damit auch die Preise. Es war Mitte der 1980er-Jahre und Österreich war gerade dabei, sich von den Folgen des Weinskandals zu erholen. Kurt Körbler, Leiter des Weinguts der Stadt Krems und damals einer der absoluten Doyens im österreichischen Qualitätsweinbau, hatte Berechnungen angestellt, wie hoch die Produktionskosten von gutem trockenen Weißwein sein könnten. Das Ergebnis: „So maxmimal bei 22, 23 Schilling pro Bouteille.“

Nun ist das natürlich nicht eins zu eins auf die heutigen Verhältnisse umlegbar, es hat ja eine ganz gewaltige Qualitätssteigerung im Topsegment gegeben – von der Inflationsbereinigung ganz abgesehen –, und Ludwig Köstler, Besitzer der Vinothek St. Stephan, dem ältesten Wiener Qualitätswein-Fachgeschäft, formuliert es so: „Bis zu einem Einkaufspreis von 50 Euro diskutiere ich nicht einmal mit dem Produzenten oder Importeur. Aber selbst wenn der Wein teurer ist: Das ist dann eben sein Marktpreis, der aus Angebot und Nachfrage resultiert. So funktioniert Marktwirtschaft.“

Wein ist das einzige landwirtschaftliche Produkt, bei dem der Letztverbraucherpreis um den Faktor 1.000 und mehr schwanken kann. Vom Supermarkt-Sonderangebot um 1,99 Euro die Flasche bis zu 2.000 Euro plus für einen jüngeren Jahrgang von Château Pétrus: Alles ist möglich. Wein ist also durchaus vergleichbar mit Luxusartikeln wie hochpreisigen Uhren: Der Markt macht den Preis, der mit den Produktionskosten umso weniger zu tun hat, je teurer das Endprodukt ist.

Aber hier geht es ja weniger um die teuersten Weine der Welt, sondern mehr darum, ob die Preise, die für Österreichs Topweine bezahlt werden, gerechtfertigt sind. Dazu Gerhard Kracher: „Bei manchen Weinen ist ein Riesenaufwand im Weingarten und Keller einfach notwendig, da müssen die Preise deutlich höher sein. Absolute Topqualität im Weingarten bedeutet im Vergleich zur preiswerten Basis tatsächlich den mindestens zehnfachen Aufwand. Bei der Lese wird penibel selektiert, damit hat man wieder einen Ausfall. Im Keller schließlich ist’s die längere Lagerung – 10% Verdunstungsverlust über drei Jahre, man braucht neue Fässer – all das darf man nicht vergessen.“

Findet er Österreichs Topweine zu teuer? „Wenn man ehrlich ist: Auch ein 2-Euro-Wein ist zu teuer, wenn er nicht schmeckt.“ Was kosten seine begehrten Edelsüßweine? „Wir liegen bei 45 bis 55 Euro für die halbe Flasche. Das ist im internationalen Vergleich vermutlich mehr als korrekt.“ Was man laut sagen kann: Château d’Yquem, der bekannteste Edelsüße aus Bordeaux, kommt locker auf das 10- bis 20-fache. Aber: „Yquem gilt eben als die Crème de la Crème, und natürlich gibt es auch dort Weine, die fast so gut sind und nur einen Bruchteil kosten. Da ist es eben die Frage, was einem dieses ‚fast‘ wert ist.“

Wobei – das zieht sich wie ein roter Faden durch die Statements – eindeutig die Meinung vorherrscht, dass sich Österreichs Topweine im internationalen Vergleich in einem absolut korrekten Preisgefüge befinden. Adi Schmid vom Steirereck: „Es ist ganz wichtig, dass es teure Kultweine in Österreich gibt – in Weiß, Rot und Edelsüß –, denn: Was wäre Bordeaux ohne Pétrus und Österreich ohne Salzberg?“ Werden solche Weine im Restaurant bestellt? „Und wie! Es ist ja so, dass ein solcher Wein etwas Wertvolles ist, auch als Geschenk: Wenn der Gastgeber in den Restaurants Batonnage, Salzberg oder Mariental bestellt, dann ist der eingeladene Gast ja auf das höchste erfreut!“

Wie sieht das Eveline Eselböck, Patronne und Servicechefin des Taubenkobels in Schützen am Gebirge? „Ich glaube, dass feiner Wein Dinge aufzeigen muss, die nicht messbar sind: Wo kommt er her, lässt er seine Herkunft schmecken? Ich will ihn nicht mit anderen Weinen vergleichen, mich interessiert auch kein Preisvergleich. Jede Region soll ihren Wein haben, und der Wein soll seinen Preis haben.“ Wie das? „Wir finden, dass sich Weine, die nach biologisch-dynamischen Methoden vinifiziert werden – also Demeterzertifiziert sind –, tiefgründiger präsentieren, wobei sich das keineswegs auf den Preis niederschlagen muss.“ Eine interessante Erfahrung hat sie in Paris gemacht, im Michelinbesternten Restaurant Laurent auf den Champs Élysées: „Wie ich aus der Weinkarte einen bekannten Wein ausgesucht haben, sagte der Sommelier: ‚Bitte nicht, diesen Wein gibt’s überall, ich lasse Sie etwas probieren!‘ Und das war dann das Erlebnis schlechthin.“

Folgen die Taubenkobel-Gäste ihren Empfehlungen? „Das wichtigste ist, dass sich der Gast wohlfühlt. Und natürlich haben wir auch noch konventionell ausgebaute gute Weine im Keller. Aber ich glaube, dass sich langfristig die biodynamisch ausgebauten Weine durchsetzen werden.“ Denn: „Nachhaltigkeit ist extrem wichtig. Nicht umsont war der Sommelier vom Noma in Kopenhagen – vor Kurzem als Europas bestes Restaurant eingestuft – hier und hat sich authentische burgenländische Weine zeigen lassen.“ Wobei in der Familie bereits biologisch-dynamisch zertifizierter Wein produziert wird: Auf Gut Oggau, das von Schwiegersohn Eduard Tscheppe und Tochter Stephanie Tscheppe-Eselböck geführt wird.

Franz Xaver (F. X.) Pichler steht für Wachauer Veltliner und Rieslinge, der absoluten Weltklasse. Insoferne scheint ihn die Frage nach der Angemessenheit der Preise nicht im geringsten zu irritieren. Sein Riesling Unendlich ist vermutlich der teuerste Weißwein im Lande, aber das bringt den Winzer nicht einmal annähernd in irgendeine Art von Verlegenheit: „Erstens weiß ich im Vorhinein ja nicht einmal, ob er jedes Jahr gelingt, und zweitens gibt es davon maximal ein paar tausend Flaschen.“ Was natürlich im Vergleich mit Lafite oder Mouton-Rothschild ein Klacks ist: Die Bordeaux-Rotwein-Superstars kosten ein Mehrfaches vom Unendlich, und die Güter produzieren deutlich über 200.000 Flaschen im Jahr.

Wobei F. X. Pichler noch ein weiteres Element zu bedenken gibt: „Die Topweine wachsen natürlich nicht in der Ebene, sondern auf den schmalen Terrassen am Steilhang. Da muss die Weingartenarbeit zur Gänze händisch erledigt werden, was die Produktionskosten gewaltig in die Höhe treibt.“ Die Mauern der Terrassen sind traditionell händisch trockengemauert und bedürfen der ständigen Pflege. Pichler: „2002 sind 74 Mauern eingestürzt, die Reparaturen haben dreieinhalb Jahre in Anspruch genommen. 2010 waren es 31 Mauern, heuer wegen der Trockenheit keine. Jede freie Minute wird zur Trockenmauer-Wiederauferrichtung verwendet, das muss sich ja im Preis widerspiegeln.“

Gernot Heinrich, bilanziert seine Lese 2011: „Gestern Abend kamen die letzten Blaufränkisch-Trauben herein, bei einem Ertrag von unter 2.000 kg/ha“, was extrem gering ist: Der gesamtösterreichische Durchschnittsertrag über die Jahre liegt irgendwo um die 7.000 kg. „Danach haben wir einige gute Flaschen Wein aufgemacht, darunter den 2007er Bonnes Mares von Georges de Vogüé“, ein Grand Cru aus Burgund, Handelspreis 200 bis 300 Euro die Flasche, „dazu ein paar Österreicher kreuz und quer. Fazit: Eigentlich müssten wir im Topbereich teurer, und dadurch wertiger, werden. – Weil Preis und Wertschätzung hängen eng zusammen. Unsere Spitzenrotweine sind im internationalen Vergleich noch immer zu günstig.“

Auch Gernot Heinrich weist auf die deutlich gestiegenen Arbeitskosten hin: „Man sollte Kunden wie Journalisten einladen, uns im Weingarten zu besuchen und dort einmal die Arbeit zu begutachten. Sonst sieht man ja nur das, was mit dem Wein vom Keller bis auf den Tisch geschieht; das, was draußen passiert, wird viel zu wenig beachtet. Allein unsere Lohnkosten machen 20% des gesamten Umsatzes aus.“

Warum ist Gernot Heinrichs Salzberg, eine Cuvée aus Blaufränkisch, Zweigelt und Merlot, so gut? „Wir haben zwar 10 Hektar am Salzberg, verwenden aber für den Wein nur die besten Trauben aus dem Filetstück der Lage am Mittelhang.“ Passt der Merlot ins Burgenland? „Unbedingt. Der hat ja seinerzeit den Salzberg mit bekannt gemacht, die Sorte passt sehr gut in die kalkreichen sandigen Lehmböden, die es hier gibt.“

„Noch vor einigen Jahren war von ‚kühlen, salzigen, mineralischen Elementen‘ im Wein keine Rede. Das ist das, was wir dem Konsumenten vermitteln müssen, dazu den autochthonen Charakter unserer Weine. Denn: „Wenn ich im Weingarten Trauben koste, dann möchte ich die Lage im Wein wiederfinden, den Boden und das Mikroklima. Der Wein soll ein ähnliches Gefühl erzeugen, wie ich es habe, wenn ich in der Lage herummarschiere. Man spürt die Kühle des Waldes im oberen Teil, weiter unten die Sonne am Hang, den kargen Boden und den See. Da sind wir dem Konsumenten einen Schritt voraus, wir müssen versuchen, auch ihm diese Begeisterung zu vermitteln.“

Walter Bauer führt das gleichnamige Restaurant in der Wiener Innenstadt, mit exzellentem Weinkeller, die Nachfrage nach den hochpreisigen Weinen? „Wir haben Gäste, die per Mail einen Salzberg vorbestellen, damit wir ihn rechtzeitig öffnen und temperieren können.“ Sind die Gäste, die Salzberg und Batonnage bestellen, dieselben wie jene, die sich auch feine Bordeaux und Burgunder trinken? „Eher nicht. Ja, so ein Bordeaux- oder Burgunderfreak, der bestellt wohl einmal den Salzberg – aber dabei bleibt es, Helm ab zum Gebet!“

Wie kalkuliert Walter Bauer teure Weine? „Was über 50 Euro netto im Einkauf kostet, bekommt einen Fixaufschlag von 50 Euro, dazu kommen Servicezuschlag und Umsatzsteuer.“ Ein 60-Euro-Wein, steht dann beispielsweise mit 150 Euro auf der Karte. Das bedeutet: Je teurer der Wein, umso relativ günstiger kann man ihn trinken. Korkfehler sind in der Kalkulation nicht berücksichtig, die schluckt der Patron zur Gänze: „Ja, wir hatten einmal einen Château Ausone mit Kork – was soll’s, dann hat man eben einmal zwei oder drei Tage völlig umsonst gearbeitet.“ Jahrgangstiefe steht bei Walter Bauer nicht an erster Stelle. „Vom Salzberg habe ich vier Jahrgänge, wobei ich aber keinen Ehrgeiz habe, von diesem oder jenem Wein 10 Jahrgänge anzubieten. Ich halte auch nicht bewusst Weine zurück, um sie später teurer zu verkaufen. Ab dem Zeitpunkt, wo ich meine, dass ein Wein gut antrinkbar ist, gibt es ihn, und das gilt für Bordeaux genauso.“ Gibt es etwas, was er sich von den Winzern wünschen würde? „Ja, wesentlich mehr halbe Flaschen auch von den Topweinen. Wir haben Abende, da gehen in Summe mehr halbe als ganze Flaschen. Gut gelagert halten sie völlig problemlos.“

St.-Stephans-Vinothekar Ludwig Köstler geht mit dem Preisthema recht pragmatisch um. „Wenn mich Kunden fragen, ist der Wein X, der das Zehnfache vom Wein Y kostet, wirklich um so vieles besser, dann bekommet er diplomatisch zu hören, dass das die falsche Frage ist.“ Denn es ist wie in anderen Branchen auch: Für Qualität entsteht ein gewisser Preis. Ein Kultpreis entsteht, wenn die Nachfrage größer ist als die verfügbare Menge. Köstlers Lieblingsspruch: „Guter Wein ist nie zu teuer, schlechter immer.“ Kann jeder Kunde jeden Wein kaufen? „Im Prinzip ja, aber es gibt Ausnahmen. Der Batonnage, davon gibt es nicht viel, da bekommt eine Laufkundschaft eben keine sechs, sondern nur eine oder zwei Flaschen.“

Wer sind seine Kunden? „Weininteressierte Menschen, die sich mit dem Thema intensiv befassen. Die geben eben auch einmal 150 Euro für eine Flasche aus. Bekommt Köstler alle Weine ab Winzer oder Importeur? „Beileibe nicht. Ich muss einiges über den Handel beziehen. Aber am Stephansplatz kann ich nicht sagen: Ich habe keinen Sassicaia.“

Winzer

Gernot & Heike Heinrich
www.heinrich.at

Gerhard Kracher
Weinlaubenhof
www.kracher.at

F. X. Pichler
www.fx-pichler.at

Gastronomie

Restaurant Walter Bauer
Sonnenfelsgasse 17
1010 Wien,
T 01-512 98 71

Eveline Eselböck
Taubenkobel
www.taubenkobel.com

Steirereck Wien
www.steirereck.at

Weinhandel

Vinothek St. Stephan
www.vinothek1.at