Zwischen den Kontinenten
Von billigen Verschnittweinen zu weltweit gesuchten Gewächsen – Siziliens Weinszene erlebte in den letzten zwei Jahrzehnten einen kometenhaften Aufstieg. Das Erfolgsrezept: regionale Rebsorten, spezielle Terroirs und Winzer, die es verstehen, mit traditioneller Vinifikation diese Einzigartigkeit herauszuarbeiten.
Die Strada Provinciale SP68 ist eine von unzähligen Landstraßen in Sizilien. Für Arianna Occhipinti jedoch ist es eine Straße von besonderer Bedeutung – es ist die Straße, die sie an den Ort ihrer Bestimmung geführt hat, wie sie sagt. Nach Fossa di Lupo in der Provinz Ragusa im äußersten Südosten Siziliens – dort, wo die Sonne fast das ganze Jahr über gnadenlos vom Himmel knallt, wo selbst in der Hochsaison kaum eine Menschenseele zu sehen ist; ein verlassenes Land, wie inzwischen überall in Sizilien außerhalb der Städte. In Fossa di Lupo hat sie vor knapp 20 Jahren ihr erstes Hektar Rebland erworben. Ein magischer Ort sei es, wo sich die Erde am Abend vor dem Sonnenuntergang tiefrot färbe, zerfurcht vom Wind aus den angrenzenden Iblei-Bergen. Ihre Einstiegsweine heißen so auch SP68, eine rote und eine weiße Cuvée vorwiegend aus regionalen Sorten – so zart, frisch und kühl, wie man Weine aus dieser Region nicht für möglich hält.
Die Strada Provinciale 68 hat aber auch eine jahrtausendealte Geschichte. Vor 3.000 Jahren war es eine holprige Steinstraße, nicht breiter als eine Wagenspur – die älteste je erwähnte Weinstraße Siziliens, auf der Generationen von Bauern ihre Weine an die Küste transportierten, von wo aus sie in den gesamten Mittelmeerraum verschifft wurden. Die Region ist heute als Cerasuolo di Vittoria das einzige DOCG-Anbaugebiet Siziliens und Arianna Occhipinti eine der bedeutendsten Winzerinnen Italiens und Aushängeschild Siziliens. Die Insel im Mezzogiorno, wie man den Süden Italiens nennt, die beinahe den afrikanischen Kontinent berührt, gehört für viele gar nicht mehr zu Italien. Sizilien gilt als hoffnungslos korrupt und heruntergewirtschaftet, seit Jahrhunderten agiert die Mafia als Schattenregierung – ausgerechnet dort legte der Weinbau in den letzten zwei Jahrzehnten eine sagenhafte Karriere hin. Dank Protagonistinnen wie Occhipinti, die dem Weinbau Siziliens neues Leben einhauchten, ihm seine Identität wiedergaben – mit autochthonen Rebsorten und traditioneller Vinifikation, vor allem aber mit Hartnäckigkeit. Viele von ihnen sind Quereinsteiger, gebürtige Sizilianer, die auswanderten und nach Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehrten.
Vom Massenwein zur Spezialität
Sizilien ist seit jeher umkämpft – kaum eine Herrschaft, die nicht versuchte, die Insel im Mittelmeer zu belagern. Ihre Weine schätzten sie alle. Aber erst im 19. Jahrhundert wurden eigene Kellereien gegründet – die bekannteste ist Duca di Salaparuta, mit Marken wie Corvo bis heute einer der großen Player.
Als 1881 die Reblaus die Weingärten Siziliens großflächig zerstörte, kam der Weinbau beinahe zum Erliegen. Erst in den 1950er-Jahren begann man wieder im großen Stil anzubauen. Vorwiegend Genossenschaften und Kooperativen – Qualität spielte dabei eine Nebenrolle. Viele hatten nicht einmal Abfüllanlagen: In Fässern und Tanks wurden die Weine in den Norden transportiert, in die Toskana, ins Piemont und selbst nach Frankreich – üppiger, süßfruchtiger Nero d’Avola meist, der die Rotweine dort auffrisieren sollte. Der Rest landete in den Supermarktregalen. Auch heute noch wird in der größten Weinbauregion Italiens nur etwa ein Viertel vor Ort abgefüllt – aber es werden jährlich mehr. Um die Jahrtausendwende versuchten private Weingüter wie Planeta, Tasca d’Almerita oder Cusumano noch mit internationalen Rebsorten zu reüssieren. Mit Cabernet, Merlot oder Chardonnay internationalen Zuschnitts gelang eine Imagekorrektur – wenn auch nur kurz. Als die Welt genug hatte von uniformen Weinen, stagnierte der Absatz. Erst als neue Winzer die Bühne betraten, die das Potenzial
lokaler Sorten und einzigartiger Terroirs wie das am Ätna erkannten, wurde auch die Welt auf Sizilien aufmerksam. Inzwischen tummeln sich auf der Insel top ausgebildete Önologen, bekannte Weingrößen und jede Menge Quereinsteiger. So verschlafen sich Sizilien in puncto Qualität über Jahrzehnte zeigte, so schnell holte man in den letzten Jahren auf – aktuell gibt es hier etwa den höchsten Anteil an Bio-Betrieben Italiens und auch bei Natural Wines hat man die Nase vorne. Der Weinbau ist auf der ganzen Insel verstreut – dazu kommen die vorgelagerten Äolischen und Ägadischen Inseln sowie Pantelleria. Hotspots sind aber klar der Nordosten mit der DOC Etna, der Nordwesten zwischen Palermo und Marsala und der äußerste Südosten in der Provinz Ragusa mit der DOCG Cerasuolo di Vittoria.
Nordosten – Ätna
Hier tummelt sich derzeit alles, was in Siziliens Weinbranche Rang und Namen hat – kleine Winzer, aber auch Großbetriebe wie Planeta oder Regaleali, die am Kuchen mitnaschen wollen. Ätna mit seinen einzigartigen hochmineralischen Vulkanböden und einem außergewöhnlichen Mikroklima gilt unter Kennern inzwischen als eine der aufregendsten Appellationen Italiens. Die Weinberge liegen bis auf 1.000 Meter, bisweilen uralte Weinstöcke in frei stehender Alberello-Erziehung, wie man sie schon in der Antike kannte. Der Belgier Frank Cornelissen ist wohl die markanteste Figur der Region rund um den aktiven Vulkan. Der ehemalige Weinbroker erkannte schon vor 20 Jahren als einer der Ersten ihr Potenzial. Mit einer an Irrsinn grenzenden Besessenheit rekultivierte er alte Anlagen, ohne ihnen auch nur einen Hauch ihrer Wildheit zu nehmen. Seine bis zu hundert Jahre alten und teils wurzelechten Rebstöcke sind eingebettet in eine vielfältige Flora aus Kräutern, Getreide, Oliven-, Mandel- und Obstbäumen. Im Weinberg wie im Keller treibt er Low Intervention auf die Spitze. Nichts darf den ureigenen Charakter verändern, selbst Biopräparate oder Kompost im Weingarten sind unerwünscht – in den Keller kommt ihm kein Gramm Schwefel. Entsprechend ungezähmt und eigenwillig schmecken seine Weine – allesamt aus autochthonen Rebsorten, versteht sich. Sein MunJebel ist Cornelissens Verneigung vor dem Ätna – Mungibeddu, der Berg der Berge, nennen auch die Einheimischen ihren Vulkan ehrfurchtsvoll. Von den Weinbergen aus sieht man im Hintergrund Rauch am Krater – von Zeit zu Zeit spuckt er auch feurige Lava, als wolle er zeigen, wer hier über Gedeih und Verderb entscheidet – im Grunde aber ist er gutmütig.
Auch Davide Bentivegna ist von der archaischen Weinregion magisch angezogen. In seinem früheren Leben war der Quereinsteiger Manager bei Siemens in Mailand, jetzt trotzt er den alten Alberello-Rebstöcken an den nordöstlichen Hängen des Ätna extreme Weine ab. Weine, die, wie er sagt, nicht perfekt sein sollen, aber die Seele berühren. Der Neo-Winzer ist vernarrt in den Nerello Mascalese, der eine atemberaubende Renaissance erlebt. Die alte Sorte vom Ätna kann mit dem extremen Tag-Nacht-Temperaturunterschied bestens umgehen. Sie strotzt vor Ausdruckskraft und zeigt trotzdem Finesse. Nerello Mascalese ist inzwischen hoch angesehen – Kenner vergleichen ihn gar mit Nebbiolo oder Pinot noir. Auch sein kleiner Bruder Nerello Cappuccio bringt hervorragende Gewächse hervor. Weinbau am Ätna ist dennoch ein Tanz auf dem Vulkan. Genau das macht wohl seine Anziehungskraft aus.
Nordwesten
Zwischen Palermo und der Provinz Trapani regt sich eine Weinregion, die Jahrzehnte einzig wegen Marsala, einem meist aufgespriteten Wein, Beachtung fand. Der Brite John Woodhouse landete im 18. Jahrhundert in Marsala und war so begeistert von dem süßen Wein dort, dass er ihn im großen Stil produzieren und mit reinem Alkohol versetzen ließ, um ihn so konserviert nach England zu transportieren. Auch wenn das Interesse an dem alkoholreichen Likörwein längst verblasst ist, die Region blieb für Marsala meist von bescheidener Qualität bekannt.
Bis Marco de Bartoli quasi im Alleingang Marsala rehabilitierte. Nach alter Tradition, ohne Alkoholzugabe, produzierte der streitbare Winzer aus den regionalen Sorten Grillo, Catarratto, Zibibbo oder Perricone legendäre süße und trockene Weiß- und Rotweine, wenn er nicht gerade gegen die korrupten Politiker Italiens wetterte. Antonio Barraco setzt nun die Tradition fort. Aus der geächteten Weißweinsorte Grillo fabriziert er sogar einen hervorragenden Schaumwein.
Weiter östlich bei Alcamo zeigt Aldo Viola, dass im Westen der Insel auch fantastische trockene Weine funktionieren. Viola ist ein charismatisches Energiebündel – er bedient alle Klischees eines Sizilianers, obwohl er halber Franzose ist: spricht, lacht und gestikuliert gleichzeitig und ohne Unterbrechung. Seine Stimme ist rau, das Gesicht schmal – gezeichnet von einem Leben ohne Abstriche. Die langen, immer noch schwarzen Locken so frei von Intervention wie seine Weine. Aldo Viola kommt aus einer Winzerfamilie – als sein Bruder das Weingut übernimmt, sei er nach Europa gegangen, wie er sagt – als gehöre Sizilien gar nicht dazu. Nach Dänemark, dann in die Welt nach Indien und an den Amazonas. Als er zurückkehrte, engagierte man ihn als ersten Önologen bei Centopassi, einer staatlichen Kooperative, die auf beschlagnahmtem Mafialand Wein anbaut. Nach und nach kaufte er auch eigene Weinberge – verstreut rund um Alcamo. Seine Gewächse aus regionalen Sorten sowie Syrah (als Hommage an seine französische Mutter) sind Freigeister – ungebürstet und eindringlich.
Von der Kooperative Centopassi, einem Sozialprojekt, kommen auch nach Aldo Violas Abgang beachtliche Gewächse. Aus den Weingärten des gefürchteten Cosa-Nostra-Clans der Corleonesi werden seit der Verhaftung ihres Capo di Capi, Totò Riina, Bioweine aus Nero d’Avola, Nerello Mascalese oder Grillo gekeltert, die mitunter den Namen von Mafia-Opfern tragen.
Südosten (Vittoria)
Der Südosten Siziliens ist heiß, trocken – die Nähe zu Afrika deutlich spürbar. Bekannt ist die Provinz Ragusa für dichte, fruchtsüße Nero d’Avola – alkohollastige Weine, die einen schier erschlagen, Weine, die gerne zum Verschneiden edler Kreszenzen in den Norden transportiert wurden. Kaum jemand interessierte sich für die Region, bis sich drei Studenten 1980 dort niederließen und das Weingut COS gründeten. Nahe der Iblei-Berge, bei Vittoria, fanden sie verlassene Weingärten, die niemand mehr wollte. Die Nachfahren der Weinbauern gingen lieber in den Norden, um Geld zu verdienen – in Sizilien sahen sie keine Zukunft. Was für die drei Weinfreaks als Abenteuer begann, wurde zumindest für die beiden Architekten Giambattista Cilia und Giusto Occhipinti zur Berufung. Cilia, der aus der Region stammt, sollte dann auch das kleine Weingut seiner Eltern erben. In den Weingärten fanden sie schließlich nicht nur Nero d’Avola, sondern auch Frappato, eine regionale Sorte, die zum Erstaunen der beiden subtile Rotweine ergibt. Für den eigenen Bedarf verschnitten die Bauern von Vittoria seit jeher die beiden so verschiedenen Rebsorten, „ein perfekter Mix aus Struktur und Finesse“, glaubt Giusto Occhipinti – inzwischen als Cerasuolo di Vittoria die einzige DOCG Siziliens. Die beiden Winzer avancierten zum Role Model für die ganze Insel, sie bewirtschaften seit Jahrzehnten biodynamisch und experimentierten als eine der Ersten in Italien mit Amphoren – lange bevor es in Mode kam. Heute bauen sie die meisten ihrer Rotweine in spanischen Amphoren aus und sorgen damit auch international für Begeisterung.
Giusto Occhipinti schließlich entzündete auch das Feuer seiner Nichte Arianna für Weinbau. Mit 16 Jahren begleitete sie ihn auf Weinmessen, studierte dann Önologie in Mailand und erstand schließlich ihren ersten eigenen Weingarten – in Fossa di Lupo, an der SP68. —
Sizilien – unsere Empfehlungen
Arianna Occhipinti
Im äußersten Südosten Siziliens produziert die Winzerin frische und zarte Rotweine aus derregionalen Sorte Frappato, aber auch erstaunlich grazile Weißweine. agricolaocchipinti.it
SP68 Vittoria-Pedalino, Km 3,3, 97019 Vittoria (RG)
Händler: weinskandal.at
Azienda Agricola COS
Sie gelten als Pioniere des neuen sizilianischen Weinstils und verhalfen dem Cerasuolo di Vittoria (Cuvée aus Frappato & Nero d’Avola) zur Renaissance. Mit biodynamischer Bewirtschaftung und Vinifikation in Amphoren schaffen sie Gewächse, die auch international begehrt sind. cosvittoria.it
S.P. 3 Acate-Chiaramonte, Km 14,300, 97019 Vittoria (RG)
Händler: wagners-weinshop.com
Frank Cornelissen
Der streitbare Belgier entlockt den höchsten Weinbergen am Ätna tiefgründige Weiß- und Rotweine aus autochthonen Sorten. Steinalte Reben in traditioneller Alberello-Erziehung und hochmineralische Vulkanböden sind die Zutaten. frankcornelissen.it
Via Canonico Zumbo, 1 (frazione Passopisciaro), 95012 Castiglione di Sicilia CT
Händler: wagners-weinshop.com
Etnella
Aus Nerello Mascalese und Nerello Cappuccio keltert der Quereinsteiger Davide Bentivegna ausdrucksstarke Rotweine an den nördlichen Hängen des Ätna. Extreme Tag-und-Nacht-Temperaturunterschiede sorgen für Struktur und Eleganz. etnella.com
Strada Provinciale 7iii, Contrada Bonanno, Passopisciaro CT 95012
Händler: vinifero.at
Aldo Viola
Seine Weine aus dem Nordwesten Siziliens sind so temperamentvoll wie der Winzer selbst. Neben Grillo, Perricone und Catarratto produziert er auch einen fantastischen Syrah zu Ehren seiner französischen Mutter. aldoviolavini.com
Via Per Camporeale 18c, 91011 Alcamo TP
Händler: vinonudo.at
Marco de Bartoli
Der Vordenker zeigte erstmals, was Marsala kann, wenn man den Dessertwein von Kitsch und zugesetztem Alkohol befreit. Einer der ganz Großen der Insel und Wegbereiter des heutigen Hypes um sizilianischen Wein. marcodebartoli.com
Contrada Fornara Samperi, 292, 91025 Marsala TP
Händler: tannico.at
Antonio Barraco
Ganz in der Tradition seines Idols Marco de Bartoli keltert Antonio „Nino“ Barraco in Marsala authentische trockene und süße Weißweine aus alten Rebsorten wie Zibibbo. vinibarraco.it
Contrada Bausa, 91025 Marsala TP
Händler: vinifero.at
Azienda Agricola Gueli
Nero d’Avola abseits des Mainstreams. Die Brüder Calogero, Giuseppe und Davide Gueli produzieren feinsinnige Rotweine aus der bekanntesten
Sorte Siziliens. In unterschiedlichsten Einzellagen wachsen alte Reben in traditioneller Tendone-Erziehung (Pergola-Variante). guelivini.it
Via G. Di Vittorio 22, 92020 Grotte (AG)
Händler: vinonudo.at