Stangenware

Weiß, grün und violett. Welcher Spargelsorte die Kochelite den Vorzug gibt, wieso die Ernte so aufwendig ist und was Spargel mit Kakteen gemein hat.

Foto von Michael Reidinger
Text von Claudia Schemel-Streben

Auch in der Spitzengastronomie können Bestellungen danebengehen. „Ich habe einen Koch aus unserer Mannschaft darum gebeten, 20 Kilogramm Spargel vom Betrieb seiner Eltern mitzunehmen“, erinnert sich Spitzengastronom Roland Huber. „Gerechnet habe ich mit weißem Spargel – und dann steht er mit grünem vor der Tür. Das war ein komplettes Missverständnis.“ 

In solchen Fällen ist in der Restaurantküche vom Esslokal in Hadersdorf am Kamp Improvisation gefragt. Huber, der sich nicht scheut, seinen ­Gästen Gemüsedesserts zu servieren, und selbst mit Rotkraut gekonnt im Patisseriebereich experimentiert, hat auch für Spargel eine ungewöhnliche Idee parat. Er schiebt die grünen Stangen für eine halbe Stunde ins Rohr, schneidet sie der Länge nach auf und kratzt das weiche, aromatische Mark des Gemüses heraus. Mit Kaffirlimettenöl, Bergamotten­abrieb und Läuterzucker vermengt, kombiniert der Spitzenkoch das Mark mit Duftpelargoniencreme, selbst angesetztem Spargelkombucha und -salat und finalisiert das ungewöhnliche Dessert mit Amaranth-Kresse, Wildspargelspitzen und Löwenzahnblüten. 

Szenenwechsel. Mannsdorf an der Donau. Kilometerlange Felder aus verkrusteten Erddämmen bestimmen die Landschaft. Darunter schlummert eine Delikatesse, für die das Marchfeld berühmt geworden ist: Auf mehr als 100 Hektar Fläche wird hier weißer, grüner und violetter Spargel von Werner Magoschitz kultiviert. Seit über 45 Jahren beschäftigt sich der Pionier mit dem begehrten ­Gemüse – 1975 hat er seine ersten Spargelpflanzen gesetzt und seither nicht mehr damit aufgehört.

Im ersten Jahr am Feld entwickelt die Spargelpflanze ein zartes, etwa ein Meter hohes Blattgrün, das im Herbst wieder abfriert. Im Folgejahr wächst das feingliedrige Gewächs mit bis zu 1,80 Meter schon in imposante Höhe und verwandelt Magoschitz’ Felder, die zunächst Sandkistenlandschaften gleichen, in einen dichten Spargelkraut-Dschungel. Im dritten Jahr können die Stangen schließlich geerntet werden, die während der Spargelsaison ständig aus der Wurzelkrone nachtreiben. 

Weißer Spargel wächst unter ­angelegten Erddämmen und lichtdichten Folien. Der richtige Reifezeitpunkt für ihn ist erreicht, wenn er zusammengerechnet 500 Grad abbekommen hat: Ab Vegetationsbeginn, etwa Mitte Februar, wird dazu täglich in 20 Zentimetern Tiefe die Temperatur gemessen und addiert. Sind 500 Grad erreicht, werden die Stangen mit einem speziellen Spargelstecher aus dem Erdreich geerntet (= gestochen) und so schnell wie möglich in abgedeckten Kisten in die Produktion gebracht. Grüner und vio­letter Spargel wachsen hingegen über der Erde und genießen dort ihr Sonnenbad. Die Stangen der früh-, mittel- und spätreifen grünen Sorten mit den Namen Primaverde, Bacchus und Xenolim werden mit einem gezackten Messer knapp unter der Oberfläche gekappt und in Kisten geschlichtet. Geerntet wird ab sechs Uhr morgens und ausschließlich händisch.

Von Erntemaschinen hält Spargelpionier Magoschitz nichts. Nur ein elektrischer kleiner Wagen ist pro Truppe unterwegs, der quietschend und in Slow Motion über die einzelnen Spargelreihen rumpelt. Er dient dazu, die Spargelkisten zu tragen, während der Fahrer mit gespreizten Beinen und nach vorne gebeugt Stange für Stange mit einem Messer abschneidet. Links und rechts wird er von Arbeitern begleitet, die die Reihen nebenan präzise abernten, ohne dabei die benachbarten, noch zu kurzen Triebe mit der Klinge zu verletzen. „Einmal angeritzt, verholzt der Spargel und wird zum Gehstock.“ Zwischendurch müssen die Messer mehrmals täglich geschliffen werden, da die Klinge wegen der quarzsandigen Böden rasch abstumpft. 

Bis zu 1.500 Stangen weißen Spargel kann ein routinierter Arbeiter pro Tag ernten. Bei grünem ist es weit mehr, da man ihn nicht unterirdisch stechen muss und die Stangen dünner sind. Er sorgt für andere Herausforderungen: Da er im Gegensatz zu weißem Spargel nicht mit Folien abgedeckt wird, ist er anfällig für Schädlinge wie das Spargelhähnchen, die Spargelfliege und den Spargelkäfer – die ihre Eier in den Köpfen der Stangen ablegen und den Spargel damit ungenießbar machen, weil er mit Würmern befallen ist. Auch Temperaturschwankungen ist er stärker ausgesetzt, und ­Magoschitz muss in Kauf nehmen, dass der Spargel, wie auch heuer, mehrmals abfriert, bevor mit der Ernte begonnen werden kann. An Tagen mit über 25 Grad Celsius muss es wiederum schnell gehen: Grüner Spargel kann pro Stunde einen Zentimeter wachsen – das bedeutet pro Tag bis zu zehn Zentimeter. „Bei hohen Temperaturen müssen wir die Felder sogar zwei Mal täglich abgehen. Pro Hektar sind das fünf Kilometer Reihen. Außerdem muss er schnell ins Kühlhaus. „Sonst bekommt er einen unangenehmen Fischgeschmack.“ 

Nach wie vor zählt weißer Spargel zu den beliebtesten Sorten in Österreich. Spürbar wird für Magoschitz aber die steigende Nachfrage nach grünem und violettem Spargel – beide werden im mediterranen Raum höher geschätzt als die gebleichte ­Variante und sind voll mit wertvollen Vitaminen und Mineralstoffen. Purpurspargel hat sich auch der Kärntner Spitzenkoch ­Manuel Ressi zum Thema gemacht, der sich von einer Lavanttaler Bäuerin und aus Italien Spargel holt. Der ehemalige Souschef von Heinz Reitbauer – 15 Jahre standen sie ­nebeneinander in der Steirereck-Küche – ­eröffnete 2015 in Hermagor ein Wirtshaus, in dem er sich seither mit seinem regionalen, laborierten Küchenstil auslebt. Unverkennbar wird die gesammelte Erfahrung alleine schon bei seinen Spargelgerichten, für die er bei der Verarbeitung der einzelnen Komponenten extrem ins Detail geht: Er blanchiert die Stangen, kühlt sie, flämmt sie und geliert sie im Ganzen in einem Saft aus fermen­tierten violetten Purple-Haze-Karotten, um ­ihnen über den natürlichen Farbstoff des Wurzelgemüses ein Violett zu verpassen, das klescht. Dazu gibt es Spargelmarmelade, für die er eigens einen Kräuterkombucha ansetzt („wir verwenden alles, was unser Kräutergarten hergibt“) und ihn à la Minute mit ­gekochtem grünen Spargel mixt; Spargel-Morchel-Vinaigrette und selbst gemachte Focaccia. „Wir sind hier im Gailtal so nah an Italien dran, und ich habe auch Italiener wie Giuseppe in der Küche, der zunächst nur für die Mannschaft Focaccia gemacht hat – die war so gut, dass wir das Brot auch unseren Gästen servieren wollten.“ In den Teig arbeitet Ressi blanchierten grünen Spargel ein; statt Oliven setzt er mit Olivenöl und Meersalz marinierte Morchelstücke darauf, die beim Backen einsinken und für eine weitere Geschmackskomponente im saftigen Teig sorgen. Ist die Spargelsaison vorbei, arbeitet Ressi mit eingerextem weißen Spargel, für den er immer wieder Nachtschichten einlegt und an die 50 Kilogramm in Gläser abfüllt, um seine Gäste bis September damit überraschen zu können. „Dazu schlichten wir die gekochten Stangen in Gläser, füllen sie mit Spargelfond, Zitrone und Zucker auf und erhitzen die ­Gläser bei 80 Grad einige Zeit. Der eingerexte Spargel ist im Biss perfekt und schmeckt wirklich wie frischer.“ 

Kollege Hannes Müller vom Genießerhotel Forelle am Weissensee hantiert gleich mit fünf verschiedenen Spargelarten, wobei streng genommen nicht alle davon zur Familie der Spargelgewächse zählen. „Letztens habe ich Wildspargel aus Istrien mitgenommen (lange grasgrüne Stiele mit ährenähnlichen Köpfen, die in Eichen- und ­Pinienwäldern wachsen), den wir nur kurz sautieren und mit Eigelb, Buttermilch und Milchhaut anrichten“, erzählt der Kärntner. Hantiert wird auch mit Hopfenspargel – die Wurzeltriebe der Hopfenpflanze könnten optisch glatt als zu klein geratener Bleichspargel durchgehen – und Waldgeißbart, den Müller charmant als „Waldspargel“ bezeichnet und der in Tempurateig herausgebacken als Happen mit verschiedenen Dips süchtig macht. Als ­leichtes Frühsommergericht verarbeitet der Spitzenkoch grünen und weißen Spargel zu einer Ceviche mit Forelle und mischt Rhabarbersaft hinein, der für entsprechende Säure sorgt. Oder aber er nimmt grünen und weißen Spargel und dekliniert beides in unterschiedlichen Texturen durch: Dazu wälzt er zunächst die Spitzen des ­gekochten weißen Spargels in würzigen Schwarzbrotbröseln, ­womit er gleich eine Verwertung für überschüssiges Brot gefunden hat. Den grünen Spargel verarbeitet er zu feinem Tatar, das er mit Bachkressemarinade vermengt, setzt Spargelpüree auf die Teller und komplettiert sein vegetarisches Gericht mit Hanfsamenchips, Schwarzbrotschaum und dünn gehobeltem weißen Spargel. „Jeder Spargel hat seinen Reiz. Ich mag den grünen vor allem roh mariniert; den weißen wiederum habe ich total gerne geschmort, auf die mollige Art.“ 

Verwendet wird von dem Spitzenkoch und Landwirt in einer Person ausschließlich Spargel österreichischen Ursprungs. „Ich verlängere die Saison nicht, und ich starte sie auch nicht früher mit Spargel aus anderen Ländern.“ Die gelieferte Ware muss bei ihm außerdem nicht zwingend dem Standard entsprechen: „Ich stehe darauf, die Produkte so zu nehmen, wie sie kommen. Die Spargeldicke ist nicht ausschlaggebend, und kerzen­gerade müssen die Stangen auch nicht sein. Sie müssen gut schmecken.“

Einen Favorit in Sachen Spargel hat der deutsche Spitzenkoch Sören Herzig, der in Wien im ehemaligen Auktionshaus Dorotheum in Fünfhaus sein eigenes Restaurant führt. „Ich persönlich finde den grünen Spargel spannender; er ist als Gemüsegericht für sich oder als Beilage interes­santer.“ Weiße Stangen werden von ihm weiterverarbeitet, etwa zu einem Spargel-Shot, den er gerne als Starter serviert; oder zu Spargel-Beurre-blanc mit Hollerblütenessig abgeschmeckt, die er mit Krabbenfarce und Seezungenfilets im Gourmet-Sandwich kombiniert. Auch der nussigere violette Spargel kommt für Herzig infrage. „Leider bleibt die Farbe beim Kochen nicht so gut erhalten.“ Als ganze Stange wird der Spargel bei Herzig gekocht und in Butter glasiert etwa auf eine Kalbsvelouté gesetzt, die an Beuschel erinnern soll und die der gebürtige Deutsche mit Schnittlauch-Mayonnaise, Essiggel, einem Netzchip und Anchovis anrichtet. Gebratene Hopfentriebe wiederum, die bei Herzig als zarter Spargel-Fake zum Einsatz kommen, werden mit aromatischer Morchelcreme in kleine Tarteletten gepackt und mit Bärlauch-Mayonnaise serviert. 

Zurück im niederösterreichischen Hadersdorf lässt Kollege Roland Huber mit einer Besonderheit des Kulturspargels aufhorchen, die er vom gefeierten dänischen Spitzenkoch und Querdenker René Redzepi kennt: „Wenn man den Spargel auswachsen lässt, entwickeln sich unglaublich viele Triebe. Verwenden kann man dann die Knospen, die entstehen. Sobald sie aber in die Blüte gehen und sich Beeren bilden, sind sie ungenießbar. Ich habe da schon einen Bauern bearbeitet; der versteht zwar nicht so recht, was daran so toll sein soll, aber ich bleibe dran.“ Womöglich wäre Werner Magoschitz der richtige Ansprechpartner für Huber. Er hat heuer immerhin ein ­Experiment gestartet, das erste Früchte trägt: Auf zwei Feldreihen hat der Spargelpionier und Steirereck-Lieferant weißen Spargel unter einem Mini-Tunnel gezogen, der mit einer durchlöcherten schwarz-weißen Folie bespannt wird, sodass ein weißer Spargel mit zart­gelben, leicht geöffneten Köpfen entsteht, der besonders zart ist und den Namen „Butterspargel“ trägt. Bleibt zu hoffen, dass die neue Spezialität nächstes Jahr auch in großen Mengen verfügbar ist. —

Rezepte:
Purpurspargel mit Kräuter-Kombucha, Morchel-Focaccia & Oxalis
Manuel Ressi, Bärenwirt

Spargel, Hanfsamen, Schwarzbrot, Verjus & Bachkresse
Hannes Müller, Die Forelle

Violetter Spargel mit Kren, Anchovis & Kalbsvelouté
Sören Herzig, Restaurant Herzig 

Grüner Spargel mit Duftpelargonie, Gurke, Spargelmark & Spargelkombucha
Roland Huber, Esslokal 

Bei der Spargelernte ist Tempo angesagt. An Tagen mit über 25 Grad muss man das Feld zwei Mal täglich abgehen.

Spargelpionier Werner Magoschitz
Die Spargelmesser ­stumpfen durch den Kontakt mit der quarzsandigen Erde mehrmals ­täglich ab.
Geerntet wird nicht am Boden kniend, sondern stehend in gebeugter Haltung.
Nach fotoelektronischer Sortierung werden die Stangen in ­unterschiedliche Kisten geschlichtet. 
Feingliedrige Wurzeln einer Spargel-Jungpflanze

Für den Supermarkt ­gebün-
delter Grünspargel

Adressen 

Solo Select Spargel
Werner Magoschitz
Kirchengasse 1, 2304 Mannsdorf/Donau
solo-select.at

Bärenwirt
Hauptstraße 17, 9620 Hermagor
T 04282/20 52
baerenwirt-hermagor.at

Die Forelle
Techendorf 80, 9762 Weissensee
T 04713/23 56
dieforelle.at

Esslokal
Hauptplatz 16, 3493 Hadersdorf
T 02735/217 72
esslokal.com

Herzig
Schanzstraße 14, 1150 Wien
T 0664/115 03 00
restaurant-herzig.at