Bärenhunger
In einem dicht bewaldeten Gebiet, nicht einmal zwei Stunden südlich von Österreich, leben so viele Bären wie kaum sonst wo in Europa. Ob man sie deswegen auch jagen und ihr Fleisch essen sollte, ist in ihrer slowenischen Heimat ein viel diskutiertes Thema. Erlaubt ist jedenfalls beides. Ein Ausflug zum Bear-Watching mit anschließender Verkostung.
Der Gast aus England war überhaupt nicht amüsiert, als Ana Roš ihm erklärte, was da vor ihm auf dem Teller lag. „Bär?!“, rief er laut und entrüstet, „ich werde mit Sicherheit kein Bärenfleisch essen, das ist pure Barbarei und gehört verboten.“ Kurz verdunkelte sich Roš’ Miene, um sich gleich darauf wieder zu entspannen. „Und warum ist es das und sollte es verboten sein?“, fragte die Wirtin des slowenischen Zwei-Sterne-Restaurants Hiša Franko mit einem freundlichen Lächeln. „Schon allein deswegen, weil es unmoralisch ist, Tiere zu töten und zu essen, die vom Aussterben bedroht sind. In England wäre das undenkbar“, fauchte der Brite. „Interessant“, antwortete Roš, „aber soviel ich weiß, ist der Bär in Ihrer Heimat längst ausgerottet, während wir hier in Slowenien eine der stabilsten Populationen in Europa haben. Und dennoch wollen Sie uns erklären, wie mit dem Bestand umzugehen ist, und nennen uns Barbaren“, spricht sie und lässt den Teller des Gasts austauschen.
Die Frage, ob man Bär essen darf oder nicht, könne er selbst auch nicht beantworten, sagt Miha Ogorelec. „Tatsache ist aber, dass wir den Bestand regulieren und dafür leider eine bestimmte Anzahl an Tieren erlegen müssen, daran führt kein Weg vorbei“, erklärt der junge Mann, dessen Beruf ist, Besucher zu Bärenbeobachtungen zu führen. Und der folglich nicht im Verdacht steht, eine unnötige Reduktion der Spezies zu befürworten. Ogorelecs Arbeitsplatz sind die Wälder rund um den Ort Kocevje in Südslowenien. Und Wälder gibt es auf dem Karstplateau im nördlichen Teil der Dinarischen Alpen mehr als genug. Nadel- und Laubbäume, wohin das Auge reicht – und bis tief hinein ins angrenzende Kroatien. Derart menschenleer, unberührt und märchenhaft wirkt die Gegend, dass man kaum glauben kann, dass die Hauptstadt Ljubljana gerade einmal eine, die Grenze zu Österreich kaum zwei Stunden entfernt liegen.
Knapp 1.000 Bären in Slowenien
Schießen müsse man die Bären, sagt Ogorelec, während er den Geländewagen am Waldesrand parkt, weil sie in zu großer Zahl gefährlich werden könnten. „Wenn zu viele Tiere in einem einzigen Gebiet leben, bewegen sie sich hinaus, bis zu Höfen und Dörfern, und können dort Nutztiere und in einigen Fällen auch Menschen angreifen“, sagt er. Wie viele Bären zurzeit in Slowenien leben, sei gerade im Moment schwer zu sagen, so der Ranger weiter. „Gezählt hat man sie zuletzt vor der Covid-Pandemie. Man kann aber davon ausgehen, dass ihre Anzahl seitdem stark angewachsen ist.“
Das wiederum liegt eben an der Pandemie. Wird doch die überwiegende Mehrheit der Bären von Touristen erlegt, die teures Geld für die Genehmigung zum Abschuss von Tieren bezahlen, die sowieso getötet werden müssen. Nur: Touristen gab es während der Pandemie keine. Und so wurden zwei Jahre lang auch viel weniger Bären geschossen. Woraus man schließen könne, dass ihre Anzahl jetzt, vor der kommenden Jagdsaison, so hoch sei wie schon lange nicht, sagt Ogorelec. „Die letzte Schätzung lag bei knapp unter 1.000 Individuen, also ungefähr doppelt so viele wie noch vor 20 Jahren“, fährt der Ranger fort, „jetzt müssten es noch einmal um zwei- bis dreihundert mehr sein. Wie viele abgeschossen werden, müssen die Behörden erst beschließen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es so um die 100, 150 sein werden.“
Meet & greet: Nicht weglaufen
Daraufhin gibt er Anweisungen, wie man sich im Falle einer Begegnung, die angesichts des Gesagten auf einmal viel weniger theoretisch erscheint, zu verhalten habe. Also in erster Linie bereits zuvor laut sprechen, damit der Bär auch ja mitkriegt, dass da jemand kommt, und folglich nicht erschrickt; nicht wegrennen und nicht auf einen Baum klettern (Bären seien sowohl schnelle Läufer als auch agile Kraxler); nichts auf ihn werfen beziehungsweise nicht versuchen, ihn zu verscheuchen. Und im Falle eines Angriffs: tot stellen.
Nach nur wenigen Schritten im Wald bückt sich Ogorelec. Im Matsch zeigt er auf Spuren von Bärentatzen, die man als normaler Wanderer freilich gar nicht wahrgenommen hätte. Höchstens ein paar Stunden seien sie alt, sagt der Ranger. Einige Meter weiter, nahe einem verlassenen Weiler, liegt ein Büschel Bärenfellhaare unter einem Baum, an dem sich sein Besitzer offenbar gerieben hat. Und gleich daneben: noch warmer Bärenkot. Plötzlich fühlt man sich dem Bären ziemlich nahe.
Verlassene Weiler und Höfe gibt es übrigens viele in der Gegend. Einst lebte hier eine deutschsprachige Minderheit, die Gottscheer, nach Gottschee, wie der Orte Kocˇevsko damals hieß. Sie wurden, als Mussolinis Truppen die Gegend besetzten, nach Deutschland ausgesiedelt, stattdessen sollten Italiener angesiedelt werden. Doch die Faschisten verloren den Krieg, die Italiener kamen nicht. Und so standen Kocevsko und seine Umgebung eine Zeit lang nahezu menschenleer. „Die Deutschen zogen weg, ihre Obstbäume blieben. Und damit auch Futter, das die Bären anzieht“, so Ogorelec. Tatsächlich soll es später, in einem eigens eingerichteten hölzernen Verschlag vor einer Lichtung im Wald, auch nicht lange dauern, bis zuerst ein Bär, dann ein zweiter vor den Kameraobjektiven auftaucht. Doch zum Leidwesen aller Teilnehmer dämmert es da bereits, was Fotografieren schwierig macht. Ein Jäger mit Flinte ist zur Sicherheit zwar dabei, gejagt wird, zumindest an diesem Tag, allerdings nicht.
Keine Bärenjagd wegen Fleisch
Tags darauf, Besuch in der Fleischerei von David Lesar in der Ortschaft Ribnica, wenige Kilometer von Kocevje gelegen. „Kein Bär wurde um seines Fleisches willen geschossen“, sagt Lesar, „das Fleisch ist nun aber einmal da. Also was soll man bitte damit machen? Etwa wegschmeißen?“ Lesar ist Fleischveredler, und zwar der vermutlich beste und mit Sicherheit angesehenste Sloweniens. Seine Salami findet sich in den renommiertesten Restaurants des Landes. In seinem eigenen Betrieb bietet er Verkostungen seiner Wurstwaren an, zu denen er Weine aus seinem erstaunlich gut bestückten Keller serviert. Darunter bekannte Namen aus der brodelnden slowenischen Orange-Wine-Szene, aber auch aus Österreich und sogar aus Bordeaux.
Die Salamis sind allesamt frei von Zusatzstoffen und überhaupt von hervorragender Qualität. Das Fleisch stammt von extensiv gehaltenen Schweinen bzw. Rindern sowie Wildtieren wie Hirsch, Reh, Wildschwein und eben Bär. Anstatt faschiert wird es mit dem Messer gehackt. Die Würste werden danach sanft über Buchenholz geräuchert, bevor sie zwecks Reifung in tongetäfelte Räume kommen, was die Aromen bewahren soll. Aromatisch am eindrucksvollsten sind die Produkte der Linie „Gourmet“, darunter auch eine Bären-Salami, die sagenhafte zehn Jahre gereift wurde – damit aber auch den Eindruck erweckt, dass Bärenfleisch mehr nach Roquefort schmeckt als nach sonst irgendwas.
Bär bei Ana Roš
Auch Ana Roš serviert Lesars Salamis, allerdings mehr zum Aperitif auf der Terrasse denn als Teil ihres Degustationsmenüs. „Frisches Bärenfleisch hatten wir bereits auf der Karte, als das Hiša Franko noch ein einfaches Gasthaus war“, erinnert sich die Wirtin, „später habe ich es immer wieder ins Menü integriert. Das tue ich bisweilen noch immer, allerdings nur in sehr kleinen Dosen.“
Gewisserweise ein Bären-Signature-Dish früherer Zeiten ist das kurz gebratene Hüftsteak, das Ana Roš mit Honig beizt und mit diversen gesammelten Waldfrüchten wie Heidelbeeren und Ribisel kombiniert. Die Eigenschaften des Bärenfleisches kommen dieserart besonders gut zur Geltung, zusätzlich hervorgehoben durch die Süße des Honigs und die dezente Säure der Waldbeeren. Geschmack und Konsistenz sind tatsächlich ziemlich einzigartig. Fett enthält das Fleischstück kaum, mürb ist es dennoch. Dazu ein tiefes, ernstes, aber keinesfalls aufdringliches Wildaroma. Kurz: ein Erlebnis der besonderen, wenn nicht außergewöhnlichen Art.
Dass sie heute seltener mit Bärenfleisch arbeite, betont Roš, liege in erster Linie daran, dass sich ihr Kochstil im Laufe der Jahre verändert habe und sie seit einiger Zeit überhaupt mit weniger Fleisch arbeite als früher. Peinlich sei ihr das Bärenfleisch jedenfalls keineswegs. Ganz im Gegenteil. „In Wahrheit bin ich stolz darauf, dass Slowenien zu den wenigen Ländern zählt, dem es geglückt ist, eine gesunde Bären-Population zu bewahren“, so die Köchin, „und zum anderen finde auch ich, dass es moralisch bedenklich wäre, essbares Fleisch von getöteten Tieren einfach zu entsorgen, anstatt es zu essen.“ Offen bleibt, ob sich nicht doch eine andere Lösung finden ließe, als die Bären zu töten. Aber die Frage müssen die Slowenen wohl unter sich klären. —
Adressen
Bärenbeobachtungen kocevsko.com/de
Hiša Franko hisafranko.co
BioSing biosing.si
Gostilnica Falkenau, Kocevje
Rustikales Wirtshaus im Wald mit Wildgerichten, darunter Bärengulasch und Bärenschinken
malcajt.com/jugovzhodna/kocevje/gostilnica-falkenau.html

© Georges Desrues

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