Ein Vulkan zum Dessert

An den Hängen des mächtigen Ätna im Südosten Siziliens wachsen in schwarzer Vulkanerde ganz besondere Pistazien, die als die besten und teuersten der Welt gelten. Und die viel zu schade sind, um als einfacher Snack zu enden.

Foto von Georges Desrues
Text von Georges Desrues
Damit die Pistazien ihr typisches Grün erhalten, müssen sie blanchiert und von der leicht bitteren lila Haut befreit ­werden. Jene aus Bronte sind grüner und schlanker als herkömmliche Ware und obendrein geschmacksintensiver und teurer.

Von Bronte sagt man, dass die Stadt „auf dem Ätna schlafe“. Und tatsächlich wirkt sie aus der Ferne gerade so, als schmiege sie sich mit ihrer lang gezogenen Form und ihren weiß bepinselten Häusern an den anthrazitgrauen Lava-Hang des mächtigen, knapp 3.500 Meter hohen Vulkans. Der Ätna hingegen schläft nicht, sondern bricht auch immer wieder aus. Drei Mal hat Europas höchster aktiver Vulkan bereits die Stadt an seiner Flanke zerstört, zum letzten Mal im Jahr 1843.

„Alles hier kommt vom Ätna – das Gute wie das Böse“, sagt Nunzio Caudullo und stapft, der Gefahr des Umknöchelns trotzend, über den bizarr geformten dunklen Lavastein seines Grund und Bodens. Der wirkt alles andere als bestellt, sondern vielmehr verwuchert. Allerorts ragen mannshohe Stauden aus dem schwarzen Geröll, mit gleichfalls bizarr geformten Stämmen. Sie tragen saftig-grüne Blätter und kleine gelbliche-grüne Früchte mit roten Bäckchen. Es sind die berühmten Pistazien aus Bronte, die „edlen Früchte des ­Ätnas“, wie der Pistazienerzeuger Caudullo mit Poesie anfügt.

Im rund 20.000 Einwohner zählenden Bronte besitzt praktisch jede Familie seit Generationen ein kleines Feld. Wie vieles, das auf Sizilien angebaut wird, ist aber auch die Pistazie hier streng genommen nicht heimisch, sondern wurde von einem der zahlreichen Eroberervölker eingeführt, die im Laufe der Geschichte über die Insel im Zentrum des Mittelmeers herrschten. Im konkreten Fall waren es die Araber, die vor einem Jahrtausend die Pflanze aus ihrer ursprünglichen Heimat im Nahen Osten mitbrachten, wo sie bereits seit der Antike angebaut wird. Gerade einmal ein Prozent der weltweiten Produktion ­entfällt heute auf Sizilien. Ein Klacks also, verglichen mit globalen Playern wie den USA, der Türkei und dem Iran.

„Das war freilich nicht immer so“, erinnert sich Caudullo, „über Jahrzehnte waren zumindest auf dem italienischen Markt nahezu ausschließlich unsere Pistazien zu bekommen. Jede Eiscreme, jeder Panettone, jede Mortadella enthielt Bronte-Pistazien.“ Doch das sei zu Zeiten gewesen, als lokale Arbeitskräfte noch billiger waren; und die Transportkosten für den Import aus fernen Ländern noch höher. Inzwischen ist die Konkurrenz aus dem Ausland so groß, dass den Sizilianern gar nichts anderes übrig bleibt, als sich mit einer Nische zu begnügen.

Gerade deswegen fragt man sich bisweilen, wie viele Pistazien in Bronte eigentlich erzeugt werden. Wenn man bedenkt, dass in Italien der Name der Stadt auf so gut wie jedem Gericht, jedem Dessert, jedem Eis mit ­Pistazien prangt, das irgendwo im Land angeboten wird. „Wir haben zwar eine geschützte Herkunftsbezeichnung, ob das aber tatsächlich alles unsere Pistazien sind, kann ich freilich nicht garantieren“, sagt Caudullo, „Tatsache ist aber, dass der Name für Absatz sorgt, weil hierzulande jedes Kind weiß, dass unsere Pistazien die besten der Welt sind.“ Für sein landestypisches Selbstbewusstsein in Sachen Lebensmittel hat der Landwirt durchaus handfeste Argumente. Allen voran jenes der Erntefrequenz. Denn im Unterschied zu allen anderen Pistazien dieser Welt werden die aus Bronte nur alle zwei Jahre geerntet.

„Durch das langsame, zweijährige Wachstum entwickeln sie einen weit intensiveren Geschmack“, betont der Züchter. Zuträglich seien außerdem noch die fruchtbare schwarze Vulkanerde sowie die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, die hier, am Nordwestrand des Ätnas, herrschten. Außerdem werde, anders als etwa in Kalifornien, niemals bewässert, was gleichfalls für eine Verdichtung der Aromen sorge. Und dann ist da freilich noch der Preis, der die hiesigen Pistazien von anderen unterscheidet. Während ein Kilo Importware etwa aus dem Iran bereits um 15 Euro erhältlich ist, zahlt man für dieselbe Menge an Bronte-Pistazien 40 Euro und mehr. Aber ist der Unterschied wirklich so bedeutend? Und wie erkennt man, dass die Früchte tatsächlich aus Bronte kommen?

Signore Caudullo lächelt milde und bittet, ihm doch in die Firma zu folgen. Und so geht es zurück über zerklüfteten Stein und Geröll. Geerntet wird hier alles per Hand, und zwar gegen Ende August, Anfang September. Zurzeit ist aber noch Juli und die sizilianische Sonne unerbittlich. Fast möchte man meinen, die Hitze könnte den Lavaboden ­jeden Moment wieder zum Glühen bringen. Dabei ist es gar nicht einfach, den Blick abzuwenden vom Vulkan Ätna, der hier so eindrucksvoll, bedrohlich und geradezu demiurgisch inmitten einer Landschaft steht, die er geschaffen hat.

Im klimatisierten Auto erzählt Caudullo von den Nivaroli, den Schneesammlern. In früheren Zeiten stiegen sie den Vulkan hinauf, hackten Schneeblöcke heraus, packten sie auf Maulesel und brachten sie hinunter zu den Eisgrotten im Vulkan; und von dort auf Karren nach Catania zum Fischmarkt, wo bis heute mit Eisblöcken gekühlt wird, wenngleich inzwischen mit künstlich erzeugten.

Im Betriebsgebäude angekommen, auf dem Weg in sein Büro, schaufelt der Unternehmer eine Handvoll Pistazien aus einer Sortiermaschine. Mit einer anderen Schaufel fischt er noch einmal so ­viele, diesmal amerikanische, aus einem Glas. Dann hält er die beiden Schaufeln nebeneinander. Und siehe da: Der Unterschied ist so deutlich, dass ihn mit freiem Auge selbst ein ausgesprochener Banause in Sachen Pistazien­morphologie erkennt. Caudullos Pistazien sind nicht nur bedeutend kleiner und schlanker als die bauchigen amerikanischen, sondern auch von einem viel tieferen, saftigeren, brillanteren Grün.

Und im Mund gibt’s sowieso keine Zweifel. Die Bronte-Pistazien sind ­cremiger, öliger, ihr Geschmack um vieles intensiver, vielschichtiger und ­konzentrierter als jener der Importware. „Sagen wir so“, sagt Caudullo mit ­zufriedener Miene, „die amerikanischen, aber auch die türkischen und ­iranischen Pistazien eignen sich besser dazu, geröstet und gesalzen zu werden, also als Snack. Unsere indessen viel mehr für jede Art von Pasticceria, als Paste, etwa zur Eisproduktion, oder, dank ihrer leuchtenden Farbe, auch für die Dekoration.“

Das bestätigt auch die Konditorin und Eismacherin Chiara Soban. „Der Preisunterschied ist natürlich ein Hammer“, stöhnt sie, „aber der Geschmacksunterschied genauso. Deswegen führt an den Bronte-Pistazien in Wahrheit kein Weg vorbei. Zumindest dann nicht, wenn’s um Qualität geht.“ Soban ist Mitglied einer regelrechten Eismacherdynastie, die gleich mehrere Gelaterias quer durch Italien betreibt und damit zu den größeren Abnehmern der Bronte-Pistazien zählt. „Sie geben nicht nur mehr Geschmack, sondern auch die ­nötige Farbe. Und Zucker braucht man außerdem weniger ins Eis zu tun, weil sie ­weniger Bitterstoffe enthalten als billigere Ware“, betont Soban.

Aber Gelato ist freilich nicht das Einzige, in dem die Pistazie Verwendung findet. Bei einem Spaziergang durchs Zentrum von Bronte zeigt sich, wie vielseitig die Frucht tatsächlich ist. Hier verkauft jedes zweite Geschäft und Lokal Pistazien. Viele davon sind Konditoreien, die eine Auswahl an den bekannt opulenten, ja geradezu barock anmutenden sizilianischen Desserts bieten, wie etwa die Cassata, eine bunte Torte aus Ricotta und Biskuitteig, bedeckt mit kandierten Früchten und Pistazien. Oder Cannoli, knusprige Teigrollen, die mit Schafricotta und Pistaziensplittern gefüllt werden. Spannend aber auch die salzigen Varianten, wie etwa das Pistazienpesto, das man hier mit Pasta isst oder zum Bestreichen von Schwert- oder Thunfischsteaks verwendet. Nur als lustigen Snack zum Aperitivo sieht man die ­Pistazien in Bronte so gut wie nie. Vermutlich sind sie dafür einfach zu edel – und die Importware ist sowieso geeigneter, was ja selbst der lokale Erzeuger Caudullo eingesteht. —

Nunzio Caudullo, einer der ­bedeutendsten Pistazien-Erzeuger Siziliens
Per Hand werden die Pista­zien aussortiert, Fremdkörper entfernt.
In der schwarzen Lavaerde am Fuße des Ätnas wachsen die besten Pistazien der Welt. Die Pistaziencreme kommt in etlichen sizi­lianischen Patisserien zum Einsatz – und natürlich im Gelato (unten).