
Atlantische Abenteuer
Teneriffa ist bekannt für Billigtourismus und Sonne ohne Ende. Kaum jemand aber weiß, dass es auf der Ferieninsel die wohl eindrucksvollsten Weinberge der Welt gibt. Eine Gruppe junger spanischer Önologen produziert dort unter abenteuerlichen Bedingungen ziemlich außergewöhnliche Weine.
Text von Christina Fieber · Fotos von Gerd Kressl
Der steile Hang fällt beinahe senkrecht ab. Unten tobt der Atlantik und peitscht gegen die Klippen. Ein beeindruckendes Szenario.
Zwischen riesigen Felsbrocken ragt wildes Gestrüpp, das sich erst bei genauerem Hinsehen als Rebstöcke entpuppt. Als hätte sie jemand einfach über den Abhang geworfen, liegen sie scheinbar willkürlich verstreut herum.
Der schmale Pfad ist voller Tücken – immer stolpert man über dicke Arme uralter Weinstöcke, die sich wie Pythons am Boden entlangschlängeln. Wer diese wilden Weinberge in dem unwegsamen Gelände bewirtschaften soll, erscheint völlig schleierhaft.
Roberto Santana lacht: „Genau das ist es, was wir suchen!“
Gemeinsam mit drei Studienfreunden ist er auf der Jagd nach alten Weinbergen in besonders extravaganten Lagen. Nur an solchen Plätzen könne man noch markante Gewächse keltern, Gewächse, die sich von allen anderen unterscheiden. Das spanische Önologenteam Envínate baut Wein an Orten an, die sonst keiner mehr bewirtschaften will. Meist steile, unwegsame oder extrem hoch gelegene Weinberge, die sie oft erst rekultivieren müssen.
Einer dieser Orte liegt hier auf Teneriffa; ausgerechnet auf Teneriffa, der größten der Kanarischen Inseln, bekannt für Massentourismus und triste Bettenburgen. Ganze Legionen nord- und mitteleuropäischer Pensionisten siedeln sich hier ob der ganzjährig milden Temperaturen an – auf der Flucht vor den nebelgrauen Wintern ihrer Heimatländer. Umso überraschender ist es, dass es auf der beliebten Ferieninsel noch ruhige Flecken gibt, weitgehend verschont von ausflugswütigen Fremden. Die Touristengettos beschränken sich offenbar auf den Süden der Insel, in den wesentlich raueren Nordosten verirren sich nur die Wenigsten. „Hier baut man Wein an, dort pflanzt man Touristen“, scherzt Santana.
Von alteingesessenen Bauern wird der Wein wie vor hunderten von Jahren kultiviert – damals im 15. Jahrhundert brachten die spanischen Eroberer den Weinbau auf die Vulkaninseln vor Nordwestafrika. Die Kanaren blieben im Unterschied zum europäischen Festland auch von der Reblausplage im späten 19. Jahrhundert verschont, die fast den gesamten Weinbau des Kontinents zerstörte. Das ist auch der Grund, warum es auf Teneriffa noch über hundertjährige Rebstöcke gibt, die nicht aufgepropft wurden – eine bei uns notwendige Methode, bei der auf amerikanische reblausresistente Unterlagsreben europäische Edelreiser gesteckt werden.
Eine Rarität: Sogenannte wurzelechte Reben sind bei Weinmachern heiß begehrt, ergäben sie doch besonders authentische Gewächse. Die uralten Weinstöcke dringen tief in den Boden – sie bringen zwar nur mehr geringe Erträge, die aber geschmackstechnisch alle Stücke spielen. Eine Art natürliche Konzentration.
Auf Teneriffa gibt es auch noch uralte Rebsorten, die nirgendwo sonst überlebt haben: Listán Blanco, Albillo Criollo oder Marmajuelo sind wohl nur eingefleischten Weinfreaks ein Begriff. Meist wachsen sie zusammen in einem Weingarten – eine Art spanischer „Gemischter Satz“. Auch optisch unterscheiden sich die Weinberge von konventioneller europäischer Reberziehung: Geschniegelte Weingärten, wo Pflanzen in Reih und Glied stehen, findet man hier traditionell nicht. Scheinbar ohne jegliches System wachsen sie dort, wo gerade Platz ist, zwischen Tomaten, Kartoffeln und Pfirsichbäumen, meist nur knapp über dem Boden. Überall sonst würde das zu Fäulnis der Trauben führen, auf Teneriffa ist das kein Problem: Der warme Lavasand und die geringen Niederschlagsmengen machen es möglich. Die Sonne scheint an 300 Tagen, Regentage sind eine kleine Sensation.
Für Roberto Santana idealtypische Bedingungen für außergewöhnliche Weine. Allein, reich werden er und seine Kollegen damit nicht: Die Erträge sind gering, der Aufwand ist enorm. Alles muss mit der Hand gemacht werden. Für Maschinen ist das Gelände zu wild und zu steil. Lediglich ein paar Esel helfen während der Lese beim Transport der Trauben. Auf Teneriffa gibt es gerade einmal eine Handvoll Weingüter, die an dem spröden Handwerk noch Gefallen finden. Alle anderen füllen anspruchslose Weine für anspruchslose Touristen ab.
Trotzdem sei es nicht leicht gewesen, überhaupt zu Weinland zu kommen. Die Einwohner in diesem Teil der Insel seien angesichts der Touristenhorden im Süden misstrauisch gegenüber Fremden. Obwohl Roberto Santana eigentlich von Teneriffa kommt, habe fast zwei Jahre keiner mit ihm und seinen Partnern gesprochen. Erst über seinen Schwager sei es schließlich gelungen, das Vertrauen eines hiesigen Weinbauers zu erwerben. Das Vorhaben der jungen Unternehmer, alte Weingärten und -sorten zu erhalten und zu pflegen, schien ihm zu gefallen. Mit einem Handschlag wurde das Geschäft besiegelt: „In dieser Gegend kommt das einem lebenslangen Vertrag gleich“, weiß Roberto Santana und schmunzelt.
Inzwischen hat die Önologengruppe ein Netzwerk an Produzenten aufgebaut, von dem sie die Trauben bezieht – gleichzeitig bewirtschaftet Envínate auch selbst einige Parzellen gepachteter Weingärten.
„Wir lernen von den alteingesessenen Bauern traditionellen Weinbau, der auf keiner Weinbauhochschule vermittelt wird“, erklärt Santana.
In diesen alten Rieden hätten die Bauern nie Herbizide verwendet – die Böden seien also intakt und die alten Rebstöcke gesund. Das gelte es zu erhalten. Der Verzicht auf Chemie im Weingarten ist für das Önologenteam selbstverständlich. „Das ist kein Hiroshima“, meint Santana sarkastisch, „hier lebt noch alles!“
Inzwischen wurden auch internationale Weinexperten auf das ungewöhnliche Projekt aufmerksam. Die angesehene britische Kritikerin und Autorin Jancis Robinson etwa findet die Weine von Envínate auf Teneriffa „quite particular“. In den USA und in England hat sich schon ein richtiger Hype um die Gewächse der Vulkaninsel entwickelt.
Das junge Team von Envínate entwickelt seit 2005 auch in anderen Weinbauregionen Spaniens ähnliche Projekte: in den in unseren Breiten noch eher unbekannten Gebieten Ribeira Sacra, Extremadura, Murcia und Almansa; immer unter extremen Bedingungen, mit dort heimischen Sorten aus alten Weingärten und möglichst unter dem Einfluss des Atlantiks oder Mittelmeers. Jede dieser Regionen wird von einem der vier Önologen betreut. In Teneriffa ist es eben Roberto Santana, der auch noch für ein anderes Weingut auf der Insel als Chefönologe arbeitet. Sonst könnte er sich das „abenteuerliche“ Projekt, wie er es nennt, wohl nicht leisten. Nur Verrückte würden sich das antun.
Verkostet man die Inselweine von Envínate, wird schnell klar, warum sie die Mühsal trotzdem auf sich nehmen: Sowohl der einfachere Táganan Blanco als auch der schon strukturiertere Táganan Parcela Amogoje, beide ein „Gemischter Satz“, zeigen sich erstaunlich filigran, kühl und mineralisch. Vor allem aber schmecken sie nach Meer – daher wohl auch der Hinweis auf dem Etikett, dass es sich um vinos atlánticos handelt.
Die roten Táganan Tinto und Parcela Margalagua wiederum sind ein wilder Mix aus so exotisch klingenden Sorten wie Negramoll, Listán Negro oder Gaucho – einige vermag man überhaupt nicht mehr zu identifizieren. Beide Weine zeigen keine Spur von träger Wuchtigkeit, wirken vielmehr zerbrechlich und wild. Der Táganan Parcela Margalagua kommt aus einer Einzellage mit einem Erziehungssystem, das es nur mehr auf Teneriffa gibt: Die riesigen Seitenarme des Rebstocks werden ineinander verflochten und ziehen sich bis zu fünfzehn Meter am Boden entlang. Cordón trenzado nennt sich diese einzigartige Methode der Reberziehung.
Außerdem gibt es noch einen auf 1.000 Meter Höhe gelegenen alten Weingarten bei Santiago del Teide, nahe des gleichnamigen Vulkans, der die gesamte Insel überragt. Mit 3.718 Metern gilt er als einer der größten und mächtigsten der Welt. Die Einzellagen-weine Benje Blanco und Tinto sind dann auch deutlich von den vulkanischen Böden geprägt und wirken opulenter als die Gewächse direkt vom Atlantik. Trotz intensiver rauchiger Aromen schmecken sie aber frisch und kernig. Weiße und rote Trauben wachsen in einer Parzelle und werden getrennt gelesen und ausgebaut.
Alle Weine aus kaum mehr üblichen Sorten kommen von über hundert Jahre alten Rebstöcken und sind wurzelecht. Nach einer spontanen Gärung im Beton kommen sie, je nach Wein, in kleine oder große gebrauchte Holzfässer und werden erst bei der Füllung minimal geschwefelt. „Den ganzen Mist, den die moderne Technologie anbietet, brauchen wir nicht!“, erklärt Roberto Santana „Das einzigartige Terroir soll ja erkennbar bleiben.“
Zur Natural-Wine-Szene wollen sie trotzdem nicht gehören, das sei ihnen zu modisch. „Wir haben in Spanien ein Problem mit Trends“, findet auch Alfonso Torrente, der das Weingut in der Region Ribeira Sacra in Galizien leitet. „Gerade jene Betriebe, die noch vor Kurzem auf dem Robert-Parker-Trip waren und 300 Prozent Barrique verwendeten, machen plötzlich Amphorenweine!“, polemisiert er.
Wenngleich auch bei ihren eigenen Weißweinen zumindest ein kleiner Teil der Trauben auf der Maische vergoren wird, was ihnen einen Hauch von Sherry verleiht. Aber eben nur einen Hauch. Der Ausdruck der ungewöhnlichen Lagen soll durch keine wie auch immer geartete Ausbaumethode zerstört werden. Darin sind sich die vier Önologen einig. Sonst könne man sich die ganze Mühe gleich sparen.
www.envinate.es
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